Fragezeichen für Osteuropa

Nur schleppende wirtschaftliche Erholung nach Krisenjahr

  • Hannes Hofbauer, Wien
  • Lesedauer: 3 Min.
»Die Krise ist vorüber«, titeln die Ökonomen des »Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche« (WIIW) ihre jetzt vorgestellte Halbjahresprognose. Eine genauere Durchsicht der Datenlage hinterlässt allerdings ein dickes Fragezeichen hinter dieser Aussage. Hohe Budgetdefizite und Staatsverschuldung in den Kernländern der Eurozone sowie Großbritannien drohen die exportorientierten neuen EU-Mitglieder im Osten nach unten zu reißen.

Selbst Peter Havlik vom WIIW sieht für das Jahr 2010 noch keine Chance auf eine echte Erholung. Nach dramatischen Rückgängen der Jahre 2008 und vor allem 2009 bei der industriellen Produktion und bei ausländischen Investitionen, rechnet er erst 2011 wieder mit moderatem Wachstum. Zwischen September 2008 und Mitte 2009 ist die Industrieproduktion in Ländern wie Tschechien, der Slowakei, Ungarn. Slowenien und Bulgarien um 20 bis 25 Prozent eingebrochen. Ausländische Investitionen fanden 2009 in Ungarn, der Slowakei und Slowenien überhaupt keine statt.

Je tiefer der Fall, desto statistisch leichter die Erholung, möchte man meinen. Doch diese kommt, wenn überhaupt, nur sehr schleppend. Für Ungarn, Rumänien und Bulgarien prognostiziert das WIIW für 2010 eine Stagnation des Bruttoinlandsprodukts, für das Baltikum, Kroatien, Bosnien und Montenegro abermals ein Schrumpfen. Wirklich dramatisch mutet die EU-europäische Großwetterlage an.

Die Experten des WIIW haben für 2010 eine Vorschau auf die budgetäre und finanzpolitische Stabilität in den einzelnen Ländern der EU vorgelegt. Demnach werden nur zwei (Bulgarien und Estland) die Maastrichtkriterien erreichen. Der Großteil der osteuropäischen Neumitglieder (außer Ungarn) liegt bei Staatsverschuldung und Budgetdefizit in einem von Brüssel erlaubten Rahmen. Aufrütteln muss allerdings die Einschätzung, dass zentrale Staaten wie Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland die Stabilitätskriterien teilweise bei weitem nicht erfüllen können.

Das hat auch Auswirkungen auf die formal stabileren Länder im Osten. Ihre oft sehr einseitigen Exportindustrien sind von der Nachfrage in den Kernländern abhängig, ein ausgeglichenes Budget hilft da nicht viel weiter. Zumal die Arbeitslosigkeit 2010 weiter ansteigen wird. Das zeigen auch die Prognosemodelle des WIIW, die Prozentzahlen zwischen 22 Prozent (für Lettland) und jeweils über zehn Prozent für die Slowakei, Ungarn, Polen und Kroatien ausweisen.

Hoch interessante Einsichten bietet eine Langzeitdurchsicht auf die ökonomische Entwicklung der »postkommunistischen« Staaten. Das mit dem Zusammenbruch im Osten wieder und wieder postulierte Aufholen gegenüber den Ländern im Westen fand nicht statt. Seit 1990 haben nur die Slowakei und Slowenien sowie (bei schwieriger einzuschätzender Datenlage) auch Polen in 20 Jahren gegenüber den EU-15 wirtschaftlich Terrain gut gemacht. Die außerhalb der EU gebliebene Türkei kann auf einen nachhaltigeren Aufholprozess verweisen als alle übrigen Länder. Die Zahlen zeigen deutlich, dass es unseriös wäre, die Integration in die EU als Erfolg für den Osten darzustellen. Auch dem kurzfristig rasanten Wachstum der vermeintlichen »baltischen Tiger« folgten längst die Trümmer einer geplatzten Immobilienblase, die spekulatives Kapital so schnell verschwinden ließ, wie es gekommen war.

Skeptisch geben sich die Forscher des WIIW, was die notwendige Belebung der Kreditwirtschaft anbelangt, weil »derzeit niemand sagen kann, was nach dem Rückzug des Staates aus dem Bankensektor passieren wird«, wie Michael Landesmann erklärt. Er rät den Regierungen zum antizyklischen Verhalten auch in Zeiten des leichten Aufschwungs. Woher dafür die Mittel kommen sollen, darüber darf spekuliert werden. Mehrwertsteuererhöhungen in Ungarn (um fünf Prozent), Lettland und Litauen (drei), Estland (zwei) und Tschechien (um ein Prozent) weisen sozialpolitisch jedenfalls in die falsche Richtung.

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