Politgroteske mit Actiontrara

Die Krise und ihre Folgen: »Die Grenze« (Sat.1) macht den Staatsverfall zum Unterhaltungsthema

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Von der Krise aus der Bahn geworfen: Benno Fürmann als gescheiterter Werbeprofi.
Von der Krise aus der Bahn geworfen: Benno Fürmann als gescheiterter Werbeprofi.

Die Krise kommt manchmal ungebremst. Im Fernsehen reicht schon ein konzertierter Terrorakt, um alles in Windeseile stürzen zu lassen: Die Wirtschaft, den demokratischen Grundkonsens, das soziale Miteinander. Ja, selbst die Fußball-WM wird abgesagt, wenn Sat.1 zur Katastrophe bläst. Und die heißt – in Deutschland eine Urangst bürgerlicher Vorsorgementalität: Staatsverfall. Es ist eine dramaturgisch eher realitätsferne, aber spannende Utopie, die Roland Suso Richter da gestrickt hat: Nach sieben Attacken Al-Qaidas auf die globale Ölversorgung explodieren erst Benzinpreise, dann Börsen, bald Arbeitsmärkte, bis Hetzer von ganz links bis noch weiter rechts zur Abspaltung eines Bundeslandes rufen.

Da fragt man sich: Ist »Die Grenze« denkbare Vision oder dreiste Fiktion? Irgendwas in der Mitte, schlägt der Regisseur vor. Nach dem hyperauthentischen Dokudrama »Mogadischu« gönnt sich Richter die Freude »mit den Elementen der Wirklichkeit zu spielen, ohne zwingend die Realität abbilden zu wollen«. Sein »Event-Zweiteiler« nehme sich die Freiheit, »echte Gegenwart mit fiktiven Behauptungen zu verarbeiten«. Und von beidem gibt es reichlich.

Rolf Haas, ein smarter Werber mit Maßanzug, verliert mit den Anschlägen auf seltsame Weise Job, Loft, Geld, alles. Bis ihm der Verfassungsschutz in Gestalt der schönen Agentin Linda anbietet, alles zurückzukriegen, wenn er sich an den nationalpopulistischen Demagogen Maximilian Schnell heranmacht, der im Niedergang erst die Macht in Mecklenburg-Vorpommern, dann den Rest des Landes an sich zu reißen droht. Alles drumrum ist Politgroteske, Science-Fiction-Western, Actiontrara. Garniert mit der Primetimeüblichen Prise Liebe, Sex und Kulleraugen bei klarer Konturierung von Gut bis Böse unterm Klangteppich permanent dräuender Geigen.

Sat.1 ist eben was für die Oberfläche. Doch das Werk des Blockbusterlieferanten »teamworx« traut sich auch, aus dem Spaltungsszenario eine echte Räuberpistole zu machen, ohne es der verfassungsmäßigen Ordnung völlig zu entziehen. ARD oder ZDF, meint Roland Suso Richter, seien nicht ausreichend abstraktionsbereit fürs Kintopp. »Die hätten das realistischer gewollt.« Sat.1 aber, der Salesch-Pocher-Kuhnt-K11-Kanal, malt sich die Wirklichkeit so, wie es den flüchtigen Senderchefs ins Quotenkalkül passt. Also kunterbunt, nachrichtenfern, unterhaltsam, vor allem das.

Und so darf der gut aufgelegte Benno Fürmann einen extrem coolen Antihelden Rolf spielen, dessen Fragilität damit erst zur Geltung kommt. So wirkt Anja Kling als seine Kontaktperson beim Verfassungsschutz wie eine Femme Fatale im Bett James Bonds und Thomas Kretschmann als rechter Verführer wie dessen handelsüblicher Gegenspieler, der sich stets weiß gekleidet zu einem mephistophelischen Gegenheiland auswächst: berechnend, charmant, diabolisch. Öffentlich-rechtlich wären derlei Charaktere eher durch Ken Duken, Sabine Postel und Sebastian Koch besetzt worden – anspruchsvoll, glaubwürdig, seriös, glamourfrei. Einzig auf Katja Riemann als Kanzlerin im Hillary-Clinton-Look hätte man sich senderübergreifend einigen können.

Ansonsten aber ist »Die Grenze« ein Paradebeispiel des Grenzverlaufs im dualen System. Bei Sat.1 und Co. darf, muss alles im Gewitter aus Optik, Schein und Sound übersteuern und wirkt gerade in dieser Berechenbarkeit anarchisch. Sozialisten etwa, denen der Bund im Tausch für politische Verlässlichkeit das Ostseeland überlässt, tagen bei Molle und Korn in verrauchten Spelunken, während Faschisten den Tiger moderner Medienmacht im kalten Plastikambiente reiten. Graffiti-Sprayer tragen ihre Mützen schief, Politiker ihre Floskeln spazieren. Und zwischen Kanzleramt, Arbeitsplatz und Privathaushalt informiert sich das Land bei einem Fantasie-Sender namens »N24«. Witzig.

Dazu meist glitzernd, ungewollt komisch, selten bierernst, mitunter aber auch treffsicher. So wie Uwe Kockisch, der als altlinker Fischer im Rostocker Hafen auf die Frage, warum er über den Hoteljob seiner Tochter nicht frohlockt, antwortet: »Freuen tu ich mich, wenn du einen richtigen Kerl nach Hause bringst, Hansa Rostock Meister wird und der Sozialismus doch noch siegt.« Das ist feinste Arbeiterviertelprosa. Und damit sie auch die private Zielgruppe mitkriegt, lässt »teamworx« in der »Bild am Sonntag« das Verhältnis der Deutschen zur Demokratie abfragen, »um das Thema politisch auf diesem Sender zu popularisieren«, wie es Produzent Nico Hofmann ausdrückt. Ein Signal an die politikferne Generation Reality-TV.

Der gilt letztlich auch das intellektuelle Defizit des Films: Trotz des brisanten Themas ist er nämlich eines leider nie: irritierend. Keine Eskalation macht beklommen, kein Chaos ängstlich, zu rasant halbieren sich die Umfragwerte etablierter Parteien, zu holzschnittartig bleiben die Protagonisten, zu berechenbar die Systemgefährder. So wünscht sich die Mitte doch ihre Feinde: durchschaubar, erkennbar, juristisch besiegbar. »Film muss Spaß machen«, sagt Regisseur Richter. Bei Sat.1 muss er meistens nur das.

Teil 1 heute, Teil 2 morgen, jeweils 20.15 Uhr.

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