Gen-Defekt und Stress treiben an die Flasche

Max-Planck-Forscher hofft dank neuer Erkenntnisse auf bessere Therapie für Alkoholkranke

  • Siegfried Neumann
  • Lesedauer: 2 Min.
Wer mit Stress schlecht zurecht kommt, gerät leicht in die Fänge einer Suchtkrankheit. Besonders legale Drogen wie Alkohol spielen da eine Rolle. Soweit die Beobachtung im Alltag. Doch nun konnten Wissenschaftler vom Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie zeigen, dass dahinter möglicherweise eine spezielle Genvariante steckt. Denn Stress kann nicht nur Menschen zur Flasche treiben, auch bei manchen Mäusen gelingt das. Die Wissenschaftler um Inge Sillaber und Rainer Spanagel hatten neben normalen Mäusen auch solche untersucht, bei denen durch einen genetischen Defekt der so genannte CRH1-Rezeptor nicht funktioniert (»Science«, Bd. 296, S. 931). Dieser ist an der Stress-Verarbeitung im Gehirn beteiligt. Beide Mäusegruppen bekamen Wasser und verschiedene Alkoholkonzentrationen und bevorzugten nach der Eingewöhnung achtprozentigen Alkohol. Dies änderte sich bei den normalen Mäusen auch nicht, nachdem sie jeweils drei Tage nacheinander durch eine fremde Maus und den Zwang zu schwimmen unter Stress gesetzt waren. Bei den genveränderten Tieren stieg nach drei Wochen dagegen die tägliche Alkohol-Dosis um das Dreifache. Wie der CRH1-Rezeptor auf diese Entwicklung einwirkt, ist allerdings unklar. Denn auch die genveränderten Mäuse verhielten sich unter Stress äußerlich nicht aufgeregter als ihre normalen Artgenossen. Parallele Untersuchungen ergaben immerhin, dass ein weiterer Rezeptor in bestimmten Hirnregionen der Mäuse mit dem defekten CRH1-Gen häufiger auftritt als bei den normalen Mäusen. An diesen Rezeptor, den so genannten NR2B-Rezeptor, bindet vornehmlich der Botenstoff Glutamat. Dieser Rezeptor reagiert auf Alkohol. Die Wissenschaftler vermuten daher, dass die Zunahme der Glutamatrezeptoren in den Mäusen mit dem Gendefekt zur stressbedingten Steigerung des Alkoholkonsums bei diesen Tieren beiträgt. Gänzlich unklar - so Spanagel - sei allerdings, wieso die Reaktion erst drei Wochen nach dem Stresserlebnis einsetzt. Bisherige Studien hätten gezeigt, dass Stressreaktionen kompliziert sind, schnell oder langsam einsetzen und sogar zu weniger Alkoholkonsum führen könnten. »Mit diesem Modell könnten wir einen neurobiologischen Mechanismus gefunden haben, der auch bei ganz bestimmten Arten von menschlichem Alkoholismus vorkommt«, sagte der Forscher. Bei etwa 20 Prozent ehemaliger Alkoholikern führe starker Stress leicht zu einem Rückfall. Wenn Variationen im CRH-1-Gen dafür verantwortlich seien, so könnte ein genetischer Test dieses Risiko zeigen, meint Spanagel. Derzeit laufe eine entsprechende Studie mit 524 Patienten. Zugleich zeigen die Versuche mit den Mäusen mögliche Angriffspunkte für neue Medikamente auf. Es sei denkbar, durch medikamentöse Einwirkung auf das Stresshormon- oder das Glutamat-System der Entwicklung von stressinduziertem Alkoholmissbrauch vorzubeugen, hoffen die Münchner Forscher.
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