Eine Zeit, »die alle Menschen braucht«

Wenn es junge Menschen auf den Weg des Verbrechens treibt: »Die Moral der Banditen« von Horst Bastian

  • Gisela Karau
  • Lesedauer: 2 Min.
Im Café Ulla am S-Bahnhof Baumschulenweg waren sie es gewöhnt – Gäste wie Personal –, dass da einer in der Ecke saß und schrieb und schrieb. Ich wollte es kaum glauben, aber er hat es mir selbst bestätigt: Horst Bastian hat seine Romane mit der Hand geschrieben, und er hat dazu nicht ein stilles Kämmerlein gesucht, sondern das Sprachgewirr und Geschirrklappern in dem kleinen Lokal, in dem es nach Kaffee und Kuchen roch, Leute ein und aus gingen und immer mal einen neugierigen Blick auf den jungen Wilden mit den schwarzen Locken warfen, der scheinbar weltvergessen vor sich hin dichtete. Doch die Welt kam lebensprall in seinen Geschichten vor, die raue Nachkriegswelt in der noch jungen DDR mit ihrer Armut, ihren wütenden Feinden und beherzten Befürwortern. Fünfziger Jahre, heute von den einen verteufelt, von anderen verklärt – es war die Zeit der Bodenreform auf dem Lande, des Aufbruchs aus den alten Macht- und Besitzverhältnissen. Und mitten in den heftigen Existenzkämpfen eine vom Krieg demoralisierte und verletzte Jugend, die nicht so recht weiß, woher und wohin, es aber allmählich ergründet, mit Hilfe vor allem des Neulehrers Lindner, der aussieht, als könne ihn ein Windchen umblasen, jedoch Judo kann und es gelegentlich zeigen muss.

Es ist eine harte, schonungslos geschriebene Geschichte, wie da Bauernjungs eine Bande gründen, deren Zugehörigkeit mit Blut besiegelt werden muss. Hass ist ihr Hauptmotiv, Hass auf die Reichen, die nichts abgeben wollen, aber auch auf die Veränderer, die sie nicht verstehen. Albert, der Boss, wie er sich nennen lässt, nimmt den blassen schüchternen Druga nach schmerzhaften Prüfungen, zu denen Prügeln und Auspeitschen gehört, in die Bande auf. Das ist für den Außenseiter, der in der Schule unter Lehrern und Mitschülern zu leiden hat, der Beginn eines neuen Selbstbewusstseins. Dieser schmächtige, Gedichte schreibende Druga, der zum stellvertretenden Bandenchef aufsteigt, rückt mit seiner bedächtigen Art manches ins Lot, was der Kraft strotzende Albert mit Brachialgewalt übers Knie brechen will, und er weiß sich Respekt zu verschaffen.

Neulehrer Lindner ringt mit Güte, aber auch mit manchmal unerlässlicher Strenge um die Seelen der Schüler. »Längst hatte er es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Jungen vor dem Weg des Verbrechens zu bewahren. Die Mittel dazu waren karg, aber sein Herz war voll von dem Glauben an die neue Zeit, die alle Menschen braucht«, lese ich bei Bastian. Er erzählt in einer leidenschaftlichen Sprache, die so gar nicht zu der jetzigen Vorstellung vom Coolsein passen will, und doch glaube ich, dass sich heute wie damals junge Leserinnen und Leser von der Geschichte mitreißen lassen werden. Sie gewährt uns einen Blick in eine vergangene Zeit, über die gegenwärtig viel Dummes und Falsches verbreitet wird. Vor allem von Leuten, die nicht dabei gewesen sind. Bastian war dabei, es ist so manches von seiner eigenen Biografie in den Roman eingeflossen, mit dem er sich schlagartig einen Namen gemacht hat. Verdienstvoll von Leiv, im Sinne seiner Verlagsstrategie der Wiederbelebung vergessener Werke der DDR-Literatur auch dieses Buch aus der Versenkung geholt zu haben.

Horst Bastian: Die Moral der Banditen. Ill. v. Kurt Klamann. Leiv Verlag. 447 S., geb., 14,90 €.

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