»Gerüchte, nichts als Gerüchte«

Seit Jahrhunderten wird der Begräbnisort des bekanntesten aller Mongolen - Dschingis Khan - gesucht

  • Renate Bormann, Ulan-Bator
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit schöner Regelmäßigkeit tauchen in den Medien rund um den Erdball Meldungen auf, wonach das Grab von Dschingis Khan (1162-1227), des Begründers eines der größten Weltreiche in der Geschichte der Menschheit, nun endlich entdeckt worden sei.
Im Sommer vergangenen Jahres war das Traumziel von Abenteurern, Historikern und Archäologen in aller Welt vermeintlich erreicht. In den Weiten der Bergsteppen des nordmongolischen Khentii-Gebirges, im Stammland der Mongolen und Chinggisiden, wurden 60 imposante Grabanlagen freigelegt. Selbst ein viel gelesenes Politmagazin erlag der Faszination, die der mongolische Nomadenherrscher und Reichsgründer noch immer ausstrahlt, und frohlockte, immerhin mit Fragezeichen versehen: »Grab von Dschingis Khan entdeckt?« Um den Tod des Mongolenherrschers, der schon zu Lebzeiten eine Legende war, ranken sich ungezählte poetische und weniger poetische Geschichten. Aber nichts hat schon seine Zeitgenossen und alle Nachfolgegenerationen so interessiert wie sein Grab, in dem unermesslich reiche Beigaben vermutet werden. Gestorben ist der bekannteste Mongole aller Zeiten - dessen 840. Geburtstag in der Mongolei am 3. Mai begangen wurde - in Nordchina, im heißen August des Jahres 1227. Gesetzt den Fall, seine Getreuen haben das Prunkgefährt mit seinem Leichnam - Einbalsamierungstechniken kannten die Mongolen nicht - unbeschadet über mehrere tausend Kilometer bis ins Khenttigebirge im Nordosten der Mongolei gebracht: Seit altersher sind die Begräbnisstätten der zentralasiatischen Nomadenherrscher geheim gehalten worden, da in den dauernden, grausam geführten Steppenkriegen um Weideland und Vieh die Schändung der Herrschergräber zur Kriegstaktik gehörte. Sämtliche Zeugen der Begräbnisfeierlichkeiten, ja selbst die Tiere, die das Pech hatten, dem Leichenzug zu begegnen oder während des Rituals in der Nähe zu sein, mussten sterben. Wir können sicher sein, dass die Grabsuche bereits vor mehr als 700 Jahren begann. War sie erfolgreich? Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen, ist die Vergeblichkeit aller Bemühungen im 20. Jahrhundert. Nicht weniger als 120 nationale und internationale Expeditionen hofften auf den Sensationsfund. Der Leipziger Professor Johannes Schubert grub im Khentii, Chinesen, Russen und Kasachen meldeten die Entdeckung des Grabes jeweils auf ihren Territorien. Nach 1990 rückten Japaner mit modernster Lasertechnik an. Alles ohne Erfolg. Seit zwei Jahren arbeitet eine mongolisch-US-amerikanische Expedition zur Erforschung der Geschichte Zentralasiens und des mongolischen Weltreiches im Batshireet-Distrikt in der Provinz Khentii, 300 Kilometer nordöstlich von Ulan-Bator. Bei Ausgrabungsarbeiten entlang der »Mauer der Mildtätigkeit«, im Volksmund »Pferdepfosten des Dschingis« genannt, stießen die Forscher in elf Meter Tiefe schließlich auf 60 Gräber. Doch wessen Überreste beherbergen diese? Fest steht nur, dass es sich um Gräber von Fürsten und anderen einflussreichen Personen der Steppenaristokratie handelt. B. Chadraa, Präsident der Mongolischen Akademie der Wissenschaften, wehrt Fragen nach der Dschingis-Nekropole unwirsch ab: »Gerüchte, nichts als Gerüchte.« Unter den mongolischen Wissenschaftlern herrscht Uneinigkeit über die Zuordnung der Funde. Die einen vertreten die Auffassung, es handele sich um Gräber aus der Kitan-Zeit (10. bis 12. Jahrhundert), andere, dazu gehört Professor D. Bazargur vom Geographischen Institut der Akademie der Wissenschaften, führen gute Gründe an, warum die Vorstellung, das Grab des Staatsgründers sei entdeckt worden, nicht so abwegig ist: Die Grabanlagen befänden sich in der Nähe der Plätze, die eng mit dem Aufstieg Dschingis Khans zum »Herrscher über alle in Filzzelten Lebenden« verbunden seien. In diesen Wochen sind jedoch ohnehin alle Ausgrabungsstätten in der Mongolei geschlossen. Graben können die Archäologen wegen der klimatischen Bedingungen hier nämlich nur zwischen Juli und Oktober. Die Steppe wird ihre Geheimnisse also zumindest bis zum Sommerbeginn bewahren.
Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal