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Gefeuert und erleuchtet

Thomas Ostermeier inszenierte an der Berliner Schaubühne /»Goldene Zeiten« von Richard Dresser

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Buchstaben eines Schriftbandes jagen, vor Beginn der Aufführung und in deren ersten Momenten, mit Hochgeschwindigkeit über die gesamte Bühnenbreite. Brechts »Lob des Kommunismus«. Rast da nur ein Gedicht vorüber, oder drängt sich nicht eher die Assoziation auf, auch das, was die Verse meinen, habe bloß Augenblicke gedauert? Als schnelle da also der Zug der Zeit vorbei. Einige Zuschauer sehen dem unaufhörlich sich wiederholenden Gedicht melancholisch-wissend nach, andere in Ironie abgehärtet, viele wohl ohne jeden Zugang zu der fremden Sinnschleife. Später werden die traurigen Gestalten des Stückes »Goldene Zeiten« von Richard Dresser gemütlich um sich selber wie um einen Weihnachtsbaum hocken (draußen faucht es kalt und Wölfe heulen) und den Brecht flöten, singen, zithern. Der Kommunismus ein lustiger Gemütswärmer. Vor Jahren hatte Thomas Ostermeier mit Dressers »Unter der Gürtellinie« eine kafkaeske Meisterleistung des Bösen und der Belauerungen in einer ominösen Firma auf die Bretter geworfen, an der Berliner Schaubühne inszenierte er nun die deutsche Erstaufführung des neuen Stückes, das der US-Amerikaner vom Jahrgang 1957 schrieb. Er erzählt von Arbeitslosen und ihren jämmerlichen Endzeit-Illusionen. Ray und seine Frau Faye sitzen in Jan Pappelbaums schmuddeligem Wohncontainer. Dessen Dach sich in Momenten der Euphorie hebt - denn Ray, vom vielen Fernsehen selber zum Fern-Seher geworden, hat unter Zuhilfenahme eines Helms und einer merkwürdigen Pizza Verbindung »nach oben«. Stairway to Heaven - singen Led Zeppelin, und Ray ist dabei. Hauptbotschaft seiner »Kirche des wahren Wertes«: Die Fabrik macht bald wieder auf! So ist man friedlich verblendet, bis Bill auftaucht, der Cowboy. Dessen praktische Alternative zur Erleuchtung heißt: Feuer. Ray zündet zwischen seinen Einflüsterungen Autos und Häuser an, bis die Stadt in Flammen steht. Vernichtung von Lebensplätzen schafft Arbeitsplätze. Noch Selbstzerstörung bringt Versicherungs-Profit. Ostermeier wirft den Feuerschein der von Ray angezündeten Autos und Häuser immer wieder per Videoprojektion über die laufende Szene: Diese Erniedrigten und Beleidigten brennen selber aus. Diese Geschundenen und Geschmähten sind Asche, und kein Phönix steigt. Nein, doch nicht nur Asche! Menschen mit leidenden Herzen! In all ihrer kruden kriminellen Energie, in all der erbarmungslosen Überzeichnung doch Erbarmenswerte, Liebenswürdige, kleinköpfige Großtraum-Erfinder. Gleichheit und Brüderlichkeit im Schatten der Angst. Jeder gegen jeden, alle gemeinsam Opfer. Autor und Regisseur kennen sich aus auf jenem sozialen Sturzfeld, wo hochfahrende Errettungsfantasien und niederste Überlebenstaktik, Egoismus und Solidarität eine vertrackte Einheit bilden. Stöße von Ingrimm und gleichermaßen Klamauk-Lust durchziehen diesen Comic Strip. Es wäre alles anders, wenn der Mensch ohne Erwartung und ohne Erinnerung auskäme. Leichter, schmerzloser. Aber worüber sollten wir dann lachen? Wie moderner Kapitalismus Erwartung und Erinnerung pervertiert, offenbart eine der traurigsten Szenen: Diese Ausgestoßenen sehnen sich nach Wiederöffnung »ihrer« Fabrik, und wenn Ray davon redet, illustriert das sein Freund Phil mit stupiden Automatengesten. Da träumen Menschen von Arbeit, von Sinn - und dieser Sinn darf sich glücklich reduzieren aufs grausige Einverständnis, in stumpf-maschineller Monotonie zu verdämmern. Ostermeier lässt flinkes Theater spielen, als gelte es, Stummfilmgroteske, Comic und Clownerie noch einmal zu erfinden. Und John Wayne und Sitcom sowieso. Die medial angerichtete, zugerichtete, hingerichtete Realität hat unser Bewusstsein erst schockiert, dann gelähmt und schließlich in die nackte Sorglosigkeit versetzt. Ostermeier siedelt in dieser Sorglosigkeit seine künstlerische Attentäterschaft an. Betreibt ein intelligentes, collage-übermütiges Spiel mit den Ästhetiken der leeren Ersatzwelten - um die Wahrnehmung für Untiefen dieser Leere zu schärfen. Die Tragödie gibt sich zurück an die Farce. Die Regie lässt die motorischen Lacher der TV-Vorabende einspielen, und zum Schluss wird die Liste der Mitarbeiter in der Art des Abspanns eines Hollywoodfilms auf die Bühne projiziert. Bei Ostermeier wird Lehrstück gespielt, als sei es Ibsen; das Psychologische wiederum muss durch den Brecht-TÜV; den Realismus zertanzt ein Nummernprogramm; aber die Attraktion des Schau-Spiels (Komödianten zeigen, was sie sonst noch so können) ist mitunter unerwartet durchblitzt von der Lust der Akteure, tief ergreifend zu sein. Es ist ein Abend hinreißender Schauspieler. Fein in der Grobheit, ausgekocht in der Zartheit. Ostermeiers Integrationsfähigkeit wird sich daran zeigen, wie er die Treue zu denen, die gleich ihm das Experiment Schaubühne starteten, mit dem Interesse für jene zu verbinden weiß, die seinem Theater einen notwendigen Gewinn an Attraktivität bringen (Anne Tismer, Bruno Cathomas, Matthias Matschke). Gegenüber Deutschem Theater und Berliner Ensemble bleiben Volksbühne, Schaubühne und Maxim Gorki Theater wohl vorrangig so etwas wie Trutzburgen des künstlerisch eher Familiären - das auf eine Kraft setzt, die bei aller notwendigen Öffnung aus innerem Zusammenhalt wachsen soll. Lebendiger Anachronismus. Wie viel Druck vertragen solche Gebilde? Mark Waschke als Ray. Wenn er seiner höheren Stimme folgt, ist dieser gutgläubig-schwache Schlaks das personifizierte Strahlen der Erlösung, nicht das Grienen des geschäftlich ausgenutzten Idioten. Träumen über einer leeren Gossenspur. Wer ihn sieht, weiß um das Verhängnis messianischer Hoffnungen - und ahnt doch zugleich, dass die Unterdrückung religiöser Empfindungen ein großes Unglück für den Menschen darstellt. Bruno Cathomas ist sein Freund Arnie. Der dickliche Trottel, der rührend stutzig wird, wenn es ums Begreifen geht. Die Akrobatik des schweren Kindes. Lars Eidinger springt als Cowboy-Kopie auf den Flachtisch der Bude, so cool wie fies. Sehenswert, wie er einen Stuhl zerlegt - in einem Anfall, der das Kraftgehabe und den Überdruss daran parodistisch zusammenfügt. Matthias Matschke als Phil, neben Ray und Arnie der dritte Ritter von der traurigen Gestalt. Mit Theater-Bauch, den Matschke irgendwann ablegt. Grandios spielt und tanzt er die erschütternd lustige Tragödie des Vertreters, der nur noch mit Waffengewalt zu Käufern kommt, die eigenen Freunde per Pistole erpresst. Nie anerkannt, nie erfolgreich, immer in Beweisnöten, aber immer auch Stehaufmännchen und trostlos heiter. Matschke: ein Charakterkomiker. Hinzu erfunden hat Ostermeier einen Typ names Charly (Robert Beyer), der offenbar im Kühlschrank lebt. Töchterchen und Zigarren rauchende Oma zugleich. Das Faktotum, das nicht stört, obwohl es ja auch lebt. Das vergessene Wesen, das sein Leben unbeachtet aushocken muss. Gemeinsam mit der raffiniert lethargischen Anne Tismer als Faye und der knautschig-zerbrechlichen Jule Böwe als Arnies Frau lauter Figuren, die Walt Disney geschaffen haben könnte. Und die so tun, als fände Leben in Entenhausen statt. Stimmt ja auch: Was an dieser Welt hat Dagobert Duck noch nicht aufgekauft? Deshalb ist sie so lustig, und Ray, der arme glückliche Irre, geht jetzt hinaus und spricht zu den Menschen, denn er ist der Prophet dieser goldenen Zeiten. Es sind glühende Zeiten, denn nun brennt auch die Fabrik. Zu teuflisch romantischem Sound zeigt Ostermeier schlussminutenlang rückwärts laufende Filmsequenzen von einstürzenden Altbauten und Türmen: Sie richten sich wieder auf. Alles wird, wie es einmal war. Nichts ist lebensrettender als eine schöne Lüge.
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