nd-aktuell.de / 30.03.2010 / Politik / Seite 10

»Bei uns lernen Kinder und Mütter, wie richtig gegessen wird«

Das Unterernährungszentrum im ruandischen Ruhengerie kämpft einen schweren Kampf

Florian Richter
Ruanda gilt seit der Machtübernahme von Paul Kagame im Gefolge des Völkermords 1994 als ein Land mit positiver Wirschafts- und Sozialentwicklung und als entwicklungspolitischer Musterschüler. Probleme gibt es dennoch zuhauf, das Unterernährungszentrum des Krankenhauses Ruhengeri versucht, einen Teil davon zu lindern.
Aufgepäppelt: Uwingabire wird bald wieder entlassen und ist bester Dinge.
Aufgepäppelt: Uwingabire wird bald wieder entlassen und ist bester Dinge.

Ruanda – das Land der 1000 Hügel. Unweit der weltbekannten Berggorillas und Virungavulkane hat Afrika ein ganz anderes Gesicht als die weitverbreitete Vorstellung von Wüste, Löwen, Ungeordnetheit und hoher Kriminalität. Die Busse fahren regelmäßig und minutengenau, die Menschen sind überaus freundlich und es ist sehr sicher. Auch Klima und Landschaft zeigen sich unerwartet. Durch und durch saftig grün ist das Land, es regnet unbeschreiblich viel.

Was da nun so anheimelnd klingt, hat aber leider auch seine Kehrseite – die Witterung ist launisch: brütende Hitze bei strahlend blauem Himmel und graues quellwolkenverhangenes Wintermantelrausholwetter mit ausgiebigen sintflutartigen Regengüssen sind hier oft binnen eines Tages zu finden.

Genau daraus ergibt sich das Problem der kleinen Patienten im Unterernährungszentrum des Krankenhauses Ruhengeri: Die Kinder – ohnehin schon von Armut und Hunger geplagt und geschwächt – sind in den Monaten der Regenzeit mangels witterungsgerechter Kleidung gesundheitlich stark beansprucht und kommen so meist aufgrund von Herz- bzw. Atemwegserkrankungen zum Arzt. Die akute Unterernährung, welche landesweit rund 73 000 unter Fünfjährige betrifft und mit einer hohen Sterblichkeitsrate einhergeht, wird dann meist erst im Krankenhaus festgestellt, denn den Eltern fehlt häufig das Bewusstsein für diese Krankheit.

Auf den ersten Blick könnte man bei den durch Proteinmangel am Unterernährungstyp »Kwashiorkor« (kurz: Kwash) erkrankten Kindern sogar meinen, sie hätten eine gute Portion Babyspeck; doch das, was da den Anschein von Fettpölsterchen macht, sind gefährliche Ödeme – Wassereinlagerungen. Und die können bei nicht streng eingehaltener Therapiediät leicht zum Herzstillstand führen.

Die für das Zentrum zuständige Sozialarbeiterin Nyriamaniraho Emmerance stellt fest, dass in den Familien selten die Zeit gefunden wird, mit den Kindern zu spielen, weil die Eltern mit der Suche nach etwas Essbarem beschäftigt sind. So würde die von der Mangelernährung mitgebrachte Antriebslosigkeit oft nicht bemerkt. Finden diese eigentlich eindeutigen Merkmale keine Beachtung, entwickelt sich binnen weniger Monate ein sehr fragiler Zustand der Kinder – es werden landesweit konstant etwa 18 500 schwer unterernährte, unter Fünfjährige gezählt. Menschenleer wäre das Unterernährungszentrum ein trister Ort – uralte Metallbettgestelle mit ungemütlichen Ledermatratzen sowie bedrückend eifarbene Wände wirken nicht gerade anheimelnd, eher heruntergekommen. Das, was diesen Ort heilend macht, sind seine Akteure. So ist hier der zweijährige Josef in Behandlung, jedoch nicht wie alle anderen in Begleitung seiner Mama. Er wurde völlig ausgehungert am Straßenrand aufgefunden, wo man ihn ausgesetzt hatte. Doch der Kleine hatte Glück, er wurde ins Zentrum gebracht und von einer Ersatzmama, einer alten HIV-positiven Frau mit unglaublicher Lebensenergie, aufgenommen. Sie wird nur »Conseille« – die Ratgeberin – genannt. Sie ist sozusagen das Oberhaupt der Mütter und sorgt für Ordnung. Trotz eigener gesundheitlicher Probleme sagt sie, sie könne niemals solch ein kleines Wesen im Stich lassen. Eine vorbildhafte Einstellung in einem Land mit offiziell 613 000 Waisenkindern.

»Bei uns lernen Kinder und Mütter, wie richtig gegessen wird«, sagt Murekatete Christine, die Leiterin des krankenhauseigenen Sozialdienstes, stolz über das Funktionieren des Zentrums. Die Kleinen bekommen eine therapeutische Milch- und Breiernährung, die die Mütter eigenhändig unter Aufsicht verabreichen. Was die Mütter lernen sollen: »Viele kleine Mahlzeiten über den Tag verteilt sind ernährungswissenaftlich sinnvoller als die ruandische Gewohnheit, täglich einmal eine große Menge zu essen.«

Um dem Problem Unter- beziehungsweise Mangelernährung etwas entgegenzusteuern, wird gerade ein Projekt zur Anzucht von Obst- und Gemüsepflanzen begonnen. Davon wird dann ein Teil im Krankenhaus »großgezüchtet«, um der Nahrungsunterstützung Vitamine beifügen zu können, denn gerade Vitaminosen sind bei den Unterernährten häufig zu finden. So führt beispielsweise Vitamin-A-Mangel häufig zu Einschränkung bis Verlust der Sehfähigkeit. Der andere Teil der Pflanzen wird zu Setzlingen herangezüchtet, welche dann nach einer Schulung über richtigen ertragreichen Anbau sowie die nahrhafte Zubereitung an die Eltern sowie Bedürftige aus der Umgebung verteilt werden und hoffentlich mehr Abwechslung auf die heimischen Felder bringen.

Ein weiteres, bereits begonnenes Projekt ist der Bau eines Spielplatzes. Die Spieltherapie soll der Neurostimulation der Kinder dienen; denn mit der Unterernährung geht gewöhnlich eine Einschränkung der zerebralen Entwicklung einher, worunter unter anderem auch die motorischen Fähigkeiten leiden. Jede Form von Ablenkung und Denktraining ist gefragt. Sei es das möglichst in der Gruppe erfolgende Hinauf- und Hinuntergetapse auf dem bereits erbauten Kletterhäuschen oder das Malen farbenfroher Bildchen. Die Kinder sind nichts davon von zu Hause gewohnt und müssen sich ganz langsam herantasten, doch nach kurzer Zeit sind die meisten dabei.

Und wenn es dann nach etwa 20 bis 25 Tagen wieder nach Hause geht, sind die Kids wieder quicklebendige Wirbelwinde, und manche wollen gar nicht mehr weg von diesem Ort, wo die Welt für Momente in Ordnung schien.

Ruanda Support e.V., Kto. 465 983 00, BLZ 700 202 70, HypoVereinsbank München, Verwendungszweck: »Krankenhaus Ruhengeri«