nd-aktuell.de / 08.04.2010 / Brandenburg / Seite 4

Obdachlosenhilfe im Sommer?

Nach dem Kältebus startete in Berlin ein neues mobiles Projekt / Dieter Puhl leitet die Evangelische Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo und ist Projektleiter der »mobilen Sommerhilfe«

Fragwürdig: Obdachlosenhilfe im Sommer?

ND: Seit 15 Jahren gibt es den Kältebus der Berliner Stadtmission, der Obdachlosen im Winter hilft, sie medizinisch betreut oder auch in Notübernachtungen bringt. Sie sind Projektleiter der neuen »mobilen Sommerhilfe«. Warum wurde das Projekt nun von der Berliner Stadtmission ins Leben gerufen?
Puhl: Bisher mussten wir uns von den Menschen Ende März verabschieden. Sie gehen dann leider in die Hilflosigkeit zurück. Einige sterben trotz der wärmeren Jahreszeiten, weil ihnen nicht geholfen wird. Schätzungsweise 70 Prozent der Obdachlosen sind suchtmittelkrank, dazu kommen in vielen Fällen noch psychische Erkrankungen. Sie haben durch Drogenprobleme häufig ihre Wohnung, ihren Arbeitsplatz und ihre Familie verloren. Vielen fehlt deswegen ein soziales Netzwerk. In einigen Fällen sind Obdachlose sogar von Gewalt bedroht.

Für diese Menschen wollen wir mit dem neuen Projekt, das an diesem Mittwochabend startet, die bisher bestehende Versorgungslücke zwischen April und Oktober schließen, um ihnen auch in den Sommermonaten durch eine »mobile Hilfe« beistehen zu können.

Wie viele Tage in der Woche wird Ihr Auto im Einsatz sein?
Die Helfer werden jede Woche von Sonntag bis Donnerstag jeweils zwischen 18 und 24 Uhr unterwegs sein. Anlaufpunkte werden Plätze in der Stadt sein, wo bekannt ist, dass sich dort regelmäßig Obdachlose aufhalten. Außerdem versuchen wir noch einige Außenbezirke der Stadt abzudecken.

Wer sind die Helfer?
Der Fahrer ist ein Streetworker mit langjähriger Erfahrung. Er wird von zwei Praktikanten, einem jungen Mann und einer jungen Frau, sowie seinem Golden Retriever begleitet.

Was sind ihre genauen Aufgaben?
Es geht darum, die Betroffenen individuell zu unterstützen, Vertrauen zu ihnen aufzubauen und dadurch ihre Einsamkeit zu durchbrechen. Viele können auch aufgrund der bereits genannten Erkrankungen nicht zielgerichtet denken und deswegen auch nicht selbstständig Hilfe in Anspruch nehmen. Deshalb wollen wir ihnen Begleitung zu den entsprechenden Einrichtungen anbieten.

Außerdem soll der Kontakt zu denjenigen aufrechterhalten bleiben, denen bereits durch unseren Kältebus geholfen wurde. Der Fahrer des Kältebusses ist mit dem Fahrer der »mobilen Sommerhilfe« identisch.

Wie vielen Menschen kann durch das neue Projekt geholfen werden?
Wir können mit unserem Projekt leider nicht alle Obdachlosen in dieser großen Stadt retten, haben aber das Ziel, zumindest einige auch nachhaltig zu unterstützen. Bürger, denen hilflose Obdachlose auffallen, können sich bei unserem Team telefonisch melden.

Wie wird das Projekt finanziert?
Über Spenden. Die Kosten belaufen sich insgesamt auf etwa 27 000 Euro. Darin sind auch die Unterhaltungskosten für das Auto und die Utensilien im Fahrzeug eingeschlossen. Wir sind unter anderem mit Getränken, Essen, Schlafsäcken, Schuhen und sogar einem Grill ausgerüstet.

Wie viele Menschen müssen in Berlin auf der Straße übernachten?
Es gibt hier etwa 8000 bis 10 000 Wohnungslose. Die meisten können in Notunterkünften untergebracht werden. Ich schätze, dass etwa 2000 bis 3000 der Wohnungslosen auf der Straße leben.

Fragen: Aert van Riel