Stadtbad Steglitz

Disput in der Unterwelt

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Auch Faust hat einen weiten Weg hinter sich, bevor ihm Mephisto im Spiegel das Bild Gretchens vorgaukelt. So lässt Regisseur Stefan Neugebauer der Goetheschen Tragödie ersten Teil im Café Freistil starten. Der Theaterdirektor des Vorspiels lotst die Zuschauer durch die gewundene Unterwelt des Stadtbads Steglitz, wird im Maschinenraum zum Herrn, der von einem Kessel herunter mit dem bodenständigen Mephisto in Schlossermontur um Fausts Seele wettet. Um die geht es zweieinhalb Stunden in der russisch-römischen Sauna: kein Platz geeigneter für den Disput als die maurische Gewölbearchitektur.

Zwischen Säulen blickt man auf das Feinmosaik der muschelgetragenen Venus. Unterm Mosaik ist das Tauchbecken Fausts Studierstube. Ein Gitter verschließt sie zum »Mauerloch«, dem Gefängnis seiner Studien. Mit »Habe nun, ach!« beschwört er den konzentrisch beweglichen Makrokosmos und das Rundzeichen des Erdgeistes, holt die Phiole herab, die sein Leben enden soll. Mariengesang und ein Famulus verhindern das.

Beim Übersetzen stört ihn zu winselnder Geige der Pudel, der sich zum Ungeheuer auswächst und nur mit dem Kruzifix zu bändigen ist. Als Erdkreatur windet sich Mephisto herein, Pudelmütze, Overall, Aktenmappe, betört Faust mit dem Gretchen-Bildnis im Spiegel, muss vorm Fortgang das Christus symbolisierende Pentagramm der Schwelle öffnen. Als fescher Junker mit Rothemd wird es ihm leicht, Faust in den Pakt zu bringen. Alt bleibt der bei Antritt der Reise, trifft Gretchen im Gebet vor der Venus, kniet neben ihr nieder. So kommen sie zusammen, der Wissbegierige und die Sündenfreie, über die Mephisto keine Macht hat.

Gerichtet oder gerettet?

Faust und Gretchen lassen beim Umwandern einer der Säulen Seelen und Hände sich verschränken. Tod von Mutter und Kind lassen Gretchen schließlich die »Schmerzensreiche« Venus um Hilfe anflehen. Fausts Anklage tänzelt Mephisto auf dem Beckenrost weg, schnippst gelangweilt die Zigarette fort. Gretchen taumelt in Fausts einstiges Studierzimmer, nunmehr ihr Kerker. Der reuige Sünder kann ihr die laut rasselnden Ketten lösen, muss sie indes ihrem Schicksal überlassen: gerichtet oder gerettet.

In effektvoller Dreierpose endet die Adaption für vier Akteure. Geisterchöre, Osterspaziergang, Auerbachs Keller, Hexenküche oder Walpurgisnacht sind zugunsten der Liebesgeschichte gestrichen. Friedhelm Ptok als Faust mit lohendem Weißhaar fährt die Ernte eines langen Schauspielerlebens ein: präzis und schlackenfrei artikulierend, mit dem Mut zum Innehalten. Als Gretchen kann, viel jünger, Jessica Tietsche zunehmend neben ihm bestehen, als Mephisto ist ihm Alexander Klages ein wendig windiger Widerpart von Format. Eckart Schönbeck in mehreren Rollen glänzt besonders als Bein lüpfende Marthe.

15.-17., 22.-24.4., 6., 7., 13., 14., 20.-22., 28., 29.5., Stadtbad Steglitz, Bergstr. 90, weitere Informationen im Internet unter www.clubtheater-berlin.de

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