Auffressende Maschine

Ein Konzert, Ralf Hoyer zu Ehren, im Berliner BKA-Theater

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 3 Min.

Er wurde am 13. April sechzig Jahre alt. Ein Mann im Zenit. Man erkennt es allein, wie er sich bewegt, lächelt, spricht, schaut. Sehr regsame Augen hat Ralf Hoyer, überhaupt eine aufmerksame, wache Person, die seit den siebziger Jahren komponiert und schon bald sich freiberuflich betätigte. Ein frühes Talent, entdeckt an der Musikhochschule »Hanns Eisler« von Komponistin und Cembalistin Ruth Zechlin, die ihm riet, neben dem Tonmeisterstudium, das Hoyer absolvierte, auch Komposition zu studieren. Die Folge: Er wurde Meisterschüler bei Frau Zechlin und Georg Katzer an der Akademie der Künste der DDR.

Zuvor war er Tonregisseur im VEB Deutsche Schallplatten. In allen Sparten, ETERNA, LITERA, AMIGA – betätigte er sich. Ein enormer Erfahrungsfundus, der aufs Niveau seiner Kompositionskultur positiv ausschlug. Elektronische Klangbearbeitungen im Studio trafen später fast automatisch mit elektroakustischen Prämissen der musikalischen Avantgarde zusammen.

Sein erstes Stück aber war ein Streichquartett, eins, das man heute ohne Achselzucken in anspruchsvollen Konzerten aufführen kann. Das Sonar Quartett tat das vor wenigen Jahren, und man durfte staunen, was der junge Hoyer zuwege gebracht hat.

Das ging freilich nicht immer so glatt weiter. Widerstände mussten überwunden werden. Ralf Hoyers Experimente mit Elektronik, exzentrisch formulierte Kammermusik etwa auf Texte von Volker Braun, auch Bühnenmusiken und radiophonische Stücke löckten den Stachel. Sie erschienen dem Publikum neuartig, waren unbequem.

Den neugierigen jungen Mann interessierte selbstverständlich die Moderne. Die einheimische, voran Goldmann, Schenker, Dittrich, Katzer, Bredemeyer, so sehr wie die Polnische Schule um Lutoslawski, Penderecki oder Schäffer. Teils auch Klangkonzeptionen Ligetis, Boulez' und Stockhausens, die Hoyer kritisch besichtigt hat. Nicht zu vergessen avantgardistische Stimulanzia von »Warschauer Herbst« und »Musikbiennale« Berlin (Ost), die der Komponist nicht minder eingesogen hat als Neue-Musik-Sendungen von Radio DDR 2 oder SFB.

Hoyers Natur entspricht die Suche nach ungewöhnlichen Klängen und Kombinationen ganz und gar. Das sei ihm immer ein tiefes Bedürfnis gewesen, sagt er. Seit dem Beitritt hat sich sein Arbeitsfeld allmählich erweitert – bis hin zu multimedialen Projekten und Klanginstallationen. Dazugehörige Kompositionen haben elektroakustische Anteile, in Gestalt von Live-Elektronik oder vorproduziertem Zuspiel. Hier finden tonmeisterlichen Kenntnisse und kompositorische Arbeit fruchtbar zusammen. Eine Verbindung, die nach wie vor frische Ideen zuführt und überraschenden Lösungen Vorschub leistet.

Dergleichen bot auch das Konzert, das zu Ehren Hoyers im Berliner BKA-Theater (Reihe »Unerhörte Musik«) stattfand. Acht Komponisten und fünf Ausführende kamen je einzeln zum Zuge. Zu späterer Stunde. Rammelvoll der Saal. Zu hören waren durchweg Soloarbeiten – von Georg Katzer, Max E. Keller aus der Schweiz, dem US-Amerikaner Tom Johnson, Lothar Voigtländer, Friedrich Schenker, Arno Lücker, Helmut Zapf und – drei Werke von Hoyer selbst. Zwischen Max E. Kellers raffiniert serialisiertem Violinsolostück »Nononono«, einem Scherzando, das die Sinne spitzt, mit Susanne Zapf als Solistin, und Hoyers fast klassisch anmutiger, weil skalenreicher, wiederholt schroff kontrastierender Klavierkomposition »...dahinter/ ... behind«, Solist: Ermis Theodorakis, eine Bandbreite von Verschiedenem, auch verschiedenen Niveaus.

Frappierend des Jubilars Komposition »aufschlag«. Ein maschinelles Werk, quasi dreistimmig in Bild (dreigeteilte Videoleinwand) und Ton (drei Hauptklangquellen im Raum verteilt).

Gegenstand ist das Profi-Ping-Pong-Spiel (TT). TT-Geräusche sind der Tonspur von Videoaufzeichnungen entnommen. Deren Wiedergabe irritiert die Sinne. Bis zur Unkenntlichkeit fremd gemacht die TT-Bild-Geräusch-Klangraster. Zum Tanzen kommen deren kreatürliche, körperliche Seiten, deren Paralinguistik, deren »seelischer« Irrwitz, deren allgemeiner Wahnsinn. Das Rasen der Effekte wirkt teils vergnüglich, teils unerhört bedrängend aufs Gemüt.

Klavierklänge und -bilder begleiten die montagehaft-trickreichen Vorgänge. Kugeln (Bälle) rollen wie Spielzeug auf den Klaviersaiten und schießen über in rhythmisch wilde oder auch zeitlupenhaft schwebende audiovisuelle Abläufe. Sicht- und hörbar frenetischer Applaus des TT-Publikums im Zeitraffer.

Das ist der härteste Punkt. Wie nah die sich sind: Die auffressende Maschine und der Sport.

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