Ein Kopf und ein Kerl

Vor 50 Jahren starb Physik-Nobelpreisträger Max von Laue

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 5 Min.

Ohne eine gehörige Portion Glück, so lehrt die Geschichte, hätten auch berühmte Wissenschaftler einige ihrer wichtigsten Entdeckungen verfehlt. Nur leider besaßen nicht alle die Größe, darüber im nachhinein offen zu reden. Lieber deckten sie den Mantel des Schweigens über ihren Weg der Erkenntnisfindung.

Ein solches Verhalten war dem deutschen Physiker Max von Laue fremd, der 1912 eines der folgenreichsten Experimente des 20. Jahrhunderts anregte: die Beugung von Röntgenstrahlen an einem Kristallgitter. Dafür erhielt er bereits 1914 den Physik-Nobelpreis. Eigentlich habe er die hohe Auszeichnung einem glücklichen Umstand zu verdanken, erzählte Laue gern im Kollegenkreis, dem Umstand nämlich, dass er 1909 von der Berliner an die Münchner Universität gewechselt sei. Zu jener Zeit waren die Physiker noch intensiv damit beschäftigt, die »wahre Natur« der 1895 entdeckten Röntgenstrahlen aufzuklären. Während die einen glaubten, diese bestünden aus Korpuskeln, meinten andere, wie der in München lehrende Arnold Sommerfeld, dass Röntgenstrahlen elektromagnetische Wellen seien.

Davon war auch Sommerfelds Schüler Peter Paul Ewald überzeugt, der damals ein kompliziertes wellenoptisches Problem zu lösen versuchte. Weil er dabei nicht so recht vorankam, ging er zu Laue, um sich fachlichen Rat zu holen. Zwar konnte auch Laue die Lösung nicht finden, aber das Gespräch mit Ewald brachte ihn auf eine Idee: Wenn Röntgenstrahlen tatsächlich Wellen sind und Kristalle eine Raumgitterstruktur aufweisen, dann müssten beim Durchgang von Röntgenstrahlen durch einen Kristall Beugungserscheinungen auftreten.

Zu Laues Enttäuschung blieb ausgerechnet Sommerfeld skeptisch und erklärte, dass wegen der Wärmebewegung der Kristallatome keine klaren Beugungsmuster zu erwarten seien. Doch Laue gab nicht auf, zumal es ihm gelang, Sommerfelds Assistenten Walter Friedrich von seiner Idee zu begeistern. Gemeinsam mit dem Doktoranden Paul Knipping führte Friedrich das Experiment in den späten Abendstunden heimlich durch. Schon nach kurzer Zeit erhielte er das gesuchte Beugungsbild, das man heute Laue-Diagramm nennt. Denn es war Laue, der die Versuchsergebnisse theoretisch deutete und darüber am 14. Juni 1912 vor der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Berlin einen Vortrag hielt. »Ein jeder von uns fühlte«, schrieb Max Planck, der dem Vortrag beiwohnte, »dass hier eine große Tat vollbracht war.«

Mit seinem Experiment hatte Laue den Grundstein zur Röntgenstrukturanalyse gelegt, die seitdem angewandt wird, um etwa den Bauplan von komplexen anorganischen und organischen Molekülen zu entschlüsseln. 1953 diente die Röntgenstrukturanalyse sogar als Geburtshelferin für eine der größten Entdeckungen auf dem Gebiet der Biologie: Ausgehend von Interferenzbildern, die bei der Beugung von Röntgenstrahlen an DNA-Molekülen entstanden waren, fanden James Watson und Francis Crick heraus, dass die DNA von helixförmiger Struktur ist.

Als Sohn eines hohen Militärbeamten wurde Max von Laue am 9. Oktober 1879 in Pfaffendorf bei Koblenz geboren. Nach dem Abitur studierte er an verschiedenen deutschen Universitäten Physik und Mathematik – darunter in Berlin, wo Max Planck sein Doktorvater war. 1906 lernte Laue in der Schweiz Albert Einstein kennen, für dessen spezielle Relativitätstheorie er bereits 1907 einen empirischen Beleg erbrachte. Auch die erste zusammenfassende Darstellung dieser seinerzeit in Physikerkreisen noch wenig bekannten Theorie stammte aus der Feder von Laue, der 1919 als Professor an die Berliner Universität zurückkehrte. 1922 wurde er zudem Einsteins Stellvertreter als Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts (KWI) für Physik.

Während des »Dritten Reiches« zählte Laue zu den wenigen Wissenschaftlern, die sich mutig zu Einstein bekannten, der 1933 von einem USA-Aufenthalt nicht nach Deutschland zurückgekehrt war. Berlin sei ohne Einstein zum großen Teil verödet, klagte Laue und verglich bei einem öffentlichen Auftritt im September 1933 die Angriffe gegen den Schöpfer der Relativitätstheorie indirekt mit der Verfolgung Galileis durch die römische Inquisition. Darüber hinaus kritisierte Laue die von führenden Nazis protegierte »arische Physik« und ermutigte so vor allem jüngere Kollegen, sich von jener antisemitischen Pseudowissenschaft fernzuhalten.

Einstein wusste die Haltung seines Freundes zu schätzen. In einem Brief schrieb er: »Ich hab nämlich immer gefühlt und gewusst, dass Du nicht nur ein Kopf, sondern auch ein Kerl bist.« Und zu einem Besucher aus Deutschland sagte Einstein bei dessen Abreise: »Grüßen Sie Laue.« Der Besucher fragte: »Soll ich auch Planck grüßen?« Darauf Einstein: »Grüßen Sie Laue!«

Den von ihm herbeigesehnten Zusammenbruch des Nazi-Reiches erlebte Max von Laue in Hechingen, wohin das KWI für Physik 1944 verlagert worden war. Obwohl er nicht am deutschen Uran-Projekt mitgewirkt hatte, wurde er von den Alliierten in England interniert. 1946 kehrte er nach Deutschland zurück und übernahm 1951 die Leitung des KWI-Instituts für physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin-Dahlem. Im gleichen Jahr trat er in die FDP ein und wurde von deren Gründervater Theodor Heuss mit dem Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste geehrt. 1957 unterzeichnete Laue das »Göttinger Manifest« gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr, was wiederum für die DDR-Behörden Anlass genug war, ihm 1959 die Helmholtz-Medaille der Akademie der Wissenschaften zu überreichen.

In seiner Freizeit suchte Laue gern den Nervenkitzel. Er war ein begeisterter Bergsteiger und Segler, und er liebte es, schnelle Autos zu fahren. Im Frühjahr 1960 erlitt er bei einem Unfall auf der Berliner Avus schwere Kopfverletzungen, an deren Folgen er am 24. April 1960 starb. Laue wurde – nicht weit von Planck entfernt – auf dem Göttinger Stadtfriedhof beigesetzt.

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