Freispruch für die Eiszeitjäger

Klimaänderungen waren Schuld am Fast-Aussterben der Moschusochsen

  • Andreas Knudsen, Kopenhagen
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Eiszeitjäger sahen in Mammut und Wollnashorn keine Naturschönheiten, sondern ausschließlich wandernde Nahrungsmittelreserven und jagten sie, um den eigenen Hunger zu stillen. Um das Maß voll zu machen, kam es auch noch zu einer Klimaerwärmung, die die Großwildfauna des Pleistozän ebenfalls unter Druck setzte. So steht es in den meisten Lehrbüchern. Doch warum überlebten die ebenfalls an das Eiszeitklima angepassten Rentiere und Moschusochsen das Ende der Eiszeit und die vermutete übermäßige Bejagung durch die damaligen Menschen?

Eine internationale Forschergruppe unter Leitung des Kopenhagener Zentrums für Geogenetik untersuchte die Entwicklung der Moschusochsenpopulationen. Die Tiere lebten während der Eiszeit in weiten Teilen Europas, Sibiriens und Nordamerikas, doch nur auf den Inseln des kanadischen Archipels und in Nordgrönland überlebten sie. Letztere wanderten möglicherweise erst hierher, als auch die ersten Vorfahren der Inuit die Eisinsel erreichten. Die Forschergruppe untersuchte daher fossile Knochenfunde aus allen Teilen des ursprünglichen Verbreitungsgebietes. Sie analysierte das bis zu 60 000 Jahre alte Genmaterial. Dabei zeigte sich, dass die genetische Vielfalt vor 60 000 Jahren wesentlich größer war als heute. Mit den schrumpfenden Biotopen begann ein Inzuchtprozess, der die heute lebenden Moschusochsen zu einer großen Familie macht. Der derzeitige Bestand – 80 000 bis 125 000 Tiere – ist nach Ansicht einiger Wissenschaftler nicht mehr groß genug, um ernsthafte Probleme zu vermeiden. Die Forscher prüften die Hypothese, dass fallende Gendiversität schrumpfende Bestände verursachte, und kombinierten die errechneten Zeitpunkte mit bekannten Daten von Klimaänderungen.

Die Analyse zeigte, dass die genetische Diversität der Moschusochsen in den letzten 65 000 Jahren mehrfach ab- und zunahm. Die Perioden mit schrumpfender genetischer Vielfalt fallen mit Phasen von Klimaänderungen zusammen, wie sie aus Eiskernbohrungen aus Grönland bekannt sind. Eine geringere Diversität kann den Bestand einer Art so stark beeinträchtigen, dass eine neue Gefahr wie beispielsweise das Auftauchen eiszeitlicher Jäger zum Kollaps des Bestandes führt. Aus der Beobachtung, dass Menschen und Moschusochsen über Jahrtausende nebeneinander lebten, ohne dass Letztere ausgerottet wurden, schlussfolgerte die Forschergruppe, dass nicht die Eiszeitjäger am Verschwinden der Großsäuger und den wiederholten Rückgängen des Moschusochsenbestands schuld waren, sondern die Klimaveränderungen. Zu guter Letzt boten von allen ursprünglichen Verbreitungsgebieten eben nur noch Nordkanada und Grönland die richtigen Lebensbedingungen.

Erst um die Wende zum 20. Jahrhunderts nahm die Bejagung – bedingt durch effektivere Waffen – ein solches Ausmaß an, dass die verbliebenen Moschusochsen von der Ausrottung bedroht waren. 1917 wurden sie unter Schutz gestellt. Die Bestände erholten sich und 1974 wurden 30 Tiere auf der sowjetischen Taimyrhalbinsel ausgesetzt. Diese haben sich auf nun etwa 4000 vermehrt. Später wurden auch Moschusochsen auf der Wrangel-Insel angesiedelt. Im norwegischen Dovrefjell-Nationalpark lebt seit den 50er Jahren eine Herde von heute etwa 200 Moschusochsen mit grönländischen Vorfahren. Dieses Hochplateau ist ein arktischer Tiefkühlschrank nur sechs Fahrstunden von Oslo entfernt. In den letzten 15 Jahren mussten die norwegischen Wildhüter aber auch dort beobachten, dass der Bestand mehrfach kräftig zurückging. Als Ursache sah man mehrere ungewöhnlich warme Sommer an, die den langhaarigen Tieren mit ihrer dicken Fettschicht zusetzten, gefolgt von relativ harten Wintern, in denen die Tiere nicht genug Nahrung fanden. Dies und eine ähnliche Entwicklung in Kanada im Winter 1973/74 sehen die Eiszeitforscher als Bestätigung ihrer Theorie.

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