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Feuerzangenbowle und Amok

Zur Seele: Erkundung mit Schmidbauer

  • Lesedauer: 5 Min.
Dr. Wolfgang Schmidbauer arbeitet als Psychoanalytiker und Autor in München
Dr. Wolfgang Schmidbauer arbeitet als Psychoanalytiker und Autor in München

Eine Männerrunde gerät ins Träumen von schönen Schülertagen. Der junge, aber bereits äußerst erfolgreiche Schriftsteller Dr. Johannes Pfeiffer beneidet seine Freunde um den Spaß, den sie im Gymnasium hatten. Er wurde von Privatlehrern auf die Reifeprüfung vorbereitet. Die Freunde befreien ihn von diesem Kummer, indem sie Pfeiffer als Schüler verkleiden. Und in der Tat: Es gibt jede Menge Spaß, irrwitzige Verkleidungen und Liebesgeschichten, im Buch über die »Feuerzangenbowle« von Heinrich Spoerl und Heinz Reimann, wie in dem 1944 gedrehten Film mit Heinz Rühmann.

Herrschte damals in der Schule jener Ernst des Lebens noch nicht, der die Arbeitswelt prägt? Heute scheint es jedenfalls eher umgekehrt. Warum, um Himmels willen, sind nicht Einrichtungen wie die Polizei, das Militär, wie Banken und Versicherungen, Finanzämter und Gemeindeverwaltungen auch einmal das Ziel von Racheaktionen, nicht immer nur die Schulen? Nicht etwa die Grundschulen, in denen wir das ABC lernen, sondern genau jene Schulen, in denen junge Erwachsene auf das Leben vorbereitet werden sollen.

Der Film über die Feuerzangenbowle wird nach wie vor im Fernsehen gezeigt; es gibt ihn auch auf DVD. Kaum einer, der über die Szenen mit Heinz Rühmann als Teilzeitgymnasiast Hans Pfeiffer lacht und sich von der Sehnsucht nach einer heilen Vergangenheit anstecken lässt, wird daran denken, dass der Film mitten im Krieg gedreht wurde, der Goebbels-Maxime getreu, dass der ein schlechter Propagandist ist, dem man seine Absichten anmerkt. Dabei steckte im Drehbuch schon ein Stück Zeitgeschichte:

Hans Reimann hatte intensiver als sein Freund Heinrich Spoerl an dem Text gearbeitet. Der sächsische Autor, der beispielsweise das Werk des Antisemiten Artur Dinter »Die Sünde wider das Blut« unter dem Pseudonym Arthur Sünder mit dem Titel »Die Dinte wider das Blut« verulkt hatte, durfte aber nicht auf den Umschlag. Er hatte geplant, 1930 eine Satire über Hitler unter dem Titel »Mein Krampf« zu schreiben und war deshalb in Misskredit geraten.

Wer längst nicht nur das Abitur hat, sondern sogar bereits den Doktor und doch freiwillig an den Angstort Gymnasium zurückkehrt, erinnert an den in Freuds »Traumdeutung« beschriebenen »Prüfungstraum«. Die Wunscherfüllung setzt beim Prüfungstraum erst im Erwachen ein. Sie funktioniert nach dem dramatischen Prinzip, dass sich aus der drohenden Niederlage ein besonders strahlender Sieg ergibt. Der Träumer sagt sich, wach geworden: Wie lächerlich von mir, Angst zu haben, ich habe doch längst mein Abitur.

Wie kommt es, dass die Angst vor dem Lehrer durch den Rachewunsch ersetzt wird? Es gibt viele Hinweise darauf, dass Menschen im Allgemeinen und Jugendliche im Besonderen weniger fähig werden, Kränkungen zu ertragen. Das Zapping ist eine zentrale Geste der Konsumgesellschaft; sie steht für deren Tendenz, Erfüllungen zu versprechen, welche die Menschen nicht auf eine Welt vorbereitet, in der Geduld angesichts von Misserfolgen angezeigt ist. So reagieren sie mit Wut, wenn ein Erfolg ausbleibt.

Eine Klickwelt vermitteln die Illusion, es sei immer etwas Gutes da, und es sei leicht, es zu bekommen. In der Schule bricht dieser Glaube zum ersten Mal zusammen. Es gibt keine Möglichkeit, durch Knopfdruck den bösen Lehrer und sein Ungenügend in einen guten Lehrer mit einer guten Note zu verwandeln.

Die meisten Kinder kommen nach einer Phase der Anpassung mit den Lehrern zurecht. Aber es gibt Paarungen, die einfach nicht passen, und Lehrer, die ihre chronischen Kränkungen an den Kindern abreagieren.

In der Welt der Feuerzangenbowle sind die Schüler mächtiger, lebendiger, lustiger als die Lehrer. Es würde keinem Schüler einfallen, sich als traumatisiert zu erleben oder sich an dem Pauker zu rächen, der ihn durchfallen hat lassen. Die Lehrer werden als schwach, als bemitleidenswert erlebt – aber die autoritäre Institution Schule ist unangeforchten. Die Handlung spielt in einer deutschen Vorzeit, als die Welt noch in Ordnung war.

Der menschliche Impuls zur Rache entsteht, wenn etwas unser Selbstgefühl verletzt und in unserer Phantasie diese Verletzung nur dadurch gesühnt werden kann, dass der Täter »büßen« muss, indem er mindestens so viel leidet wie das gequälte Selbst. Die ersten Personen, gegen die sich Racheimpulse richten, sind nicht Lehrer, sondern Eltern und Geschwister. Wenn ein trotziger Dreijähriger, dessen Mutter partout nicht tut, was er will, Zünder und Dynamitstange bedienen könnte, würde er die Familie in die Luft sprengen. Wenn sie ihn ablenken oder beruhigen kann, ist er zehn Minuten später wieder der süßeste Engel.

Unsere primitiven Affekte sind auf Fäuste und Zähne zugeschnitten, unsere Lebensbedingungen darauf, dass wir viel Zeit haben, um ganz allein dahinterzukommen, ob es uns etwas bringt, uns zu rächen, oder wir es lieber lassen sollen. Der Vergleich zwischen dem trotzigen Dreijährigen und einem Terroristen oder Amokläufer löst Unbehagen aus. Er hilft aber, die Dynamik der Rache zu verstehen. Nach diesem Modell ist nicht der Impuls zu blutiger Rache die Ursache für die zerstörerische Aktion, sondern der Mangel an Gegenkräften.

In der modernen Gesellschaft entscheiden Qualifikationen darüber, ob jemand überhaupt in eine berufliche Konkurrenz einsteigen kann. So gewinnt die Schule jene Macht, die sie dann nicht mit genügend Einfühlung und Rücksicht auf die Kränkungen der Versager ausübt. Zur Zeit der Feuerzangenbowle hatten Gymnasiasten betuchte Väter und fielen weich, wenn sie am Abitur scheiterten. Im 21. Jahrhundert ist das Gespenst des sozialen Abstiegs Dauergast im Klassenzimmer. Politiker künden düster den Untergang einer Nation, die in der Pisa-Konkurrenz nicht mithalten kann.

Wenn Schüler in Rachephantasien entgleisen, muss nicht nur die Schule, sondern auch die Gesellschaft darüber nachdenken, wie solche Gespenster wieder blasser werden könnten. Der Geist der Feuerzangenbowle wird dabei wenig helfen. Es war eben eine Schnapsidee.

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