Von der Frau verprügelt

Im havelländischen Ketzin befindet sich Deutschlands einziges Männerhaus

  • Haiko Prengel, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.

Die übelsten Attacken seiner Frau passierten nachts, wenn Dietmar Gettner schlief. Dann kam sie manchmal betrunken ans Bett und knickte ihm brutal die Finger um. Tagsüber machte sie Psychoterror. Heute lebt der 66-jährige Rentner und ehemalige Schiffskapitän längst ohne sie. Im havelländischen Ketzin betreibt er Deutschlands einziges Männerhaus. Es ist ein abgelegenes Asyl für Männer, die Opfer von Gewalt der Partner wurden und nicht mehr wissen, wie es weitergehen soll.

Denn nicht nur Frauen, auch Männer werden in Beziehungen weitaus öfter geprügelt und gedemütigt als öffentlich bekannt. »In Deutschland traut sich nur kaum jemand, offen über dieses Problem zu sprechen«, sagt Gettner. Von der Politik wurde das Thema lange ignoriert. Rund 400 Frauenhäuser gibt es in Deutschland, ein flächendeckendes Netz mit breiter finanzieller Unterstützung. Eine Einrichtung für geschlagene Männer sucht man jenseits von Ketzin vergebens. Das Männerhaus betreibt Gettner seit zwei Jahren zusammen mit dem Pädagogen Horst Schmeil. Auch Frauen, die Hilfe suchen, werden hier nicht abgewiesen.

Nicht immer sind die Zimmer belegt. Männer trauen sich selten zuzugeben, dass sie von ihrer Frau geschlagen werden. »Die schämen sich viel zu sehr«, sagt Schmeil. Vor ein paar Wochen traute sich dann doch mal wieder einer. Erst hatte der junge Mann sogar den Mut, bei der Polizei anzurufen. »Aber die haben ihn ausgelacht«, berichtet Gettner. Er und Schmeil holten das Opfer vom Bahnhof ab. »Er hat bitterlich geweint, war ganz zerkratzt und hatte blaue Flecken im Gesicht. Sein Geld hatte ihm seine Frau auch abgenommen«, erzählt Gettner. Er nahm den jungen Mann für ein paar Tage auf und richtete ihn wieder auf – mit Gesprächen, ausgedehnten Spaziergängen. Auch die zutraulichen Pferde auf der zum Hof gehörenden Koppel haben einen therapeutischen Effekt.

Die ersten deutschen Frauenhäuser wurden in den 70er Jahren aufgebaut. Die erste Studie zur Gewalt gegen Männer veröffentlichte das Bundesfamilienministerium 2004. Danach widerfuhr jedem vierten der befragten 200 Männer einmal oder mehrmals »ein Akt körperlicher Gewalt« durch die Partnerin. Dies werde aber weitgehend tabuisiert, heißt es im Resümee der Studie. Deshalb sei »die Schaffung eines öffentlichen Bewusstseins für Ausmaß und Folgen der Gewalt gegen Männer von großer Bedeutung«. Es müsse weiter geforscht werden.

In den Augen von Gerhard Amendt verhält sich die deutsche Politik »schlicht ignorant«. Der Professor leitete früher das Bremer Institut für Geschlechter- und Generationenforschung und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema der Gewalt von Frauen gegen Männer. »Ich benenne eine Realität, die man nicht wahrhaben möchte«, sagt Amendt. Frauen sind ihm zufolge in Partnerschaften genauso gewalttätig wie Männer – Verhältnis 1:1. »Das haben rund 200 internationale Studien bestätigt, die erste im Jahr 1985«, erläutert Amendt. »Wir müssen uns endlich von der Illusion verabschieden, dass nur Männer gewalttätig sind.«

In Ketzin erweitern Gettner und Schmeil ihr Männerhaus gerade. Bald soll es zwölf Gästezimmer geben. Momentan sind es nur zwei. Die Wände im Flur sind schon frisch gestrichen, dort hängt ein Überbleibsel von Gettners letztem Schiff: ein Rettungsring.

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