Zauberworte, einzigartig!

Dominik Graf: Eine Sammlung seiner Texte zum Film

  • Ralf Schenk
  • Lesedauer: 4 Min.

Jeder Fernsehsender kann sich glücklich schätzen, wenn ein Regisseur wie Dominik Graf für ihn arbeitet; das zeigte sich bei Filmen wie »Hotte im Paradies« (2002) und »Das Gelübde« (2008) oder unlängst bei der zehnteiligen Mafia- und Polizistensaga »Im Angesicht des Verbrechens« (2010), die wie erratische Blöcke aus den sonst eher gemächlich dahinfließenden Wassern deutschen TV-Alltags herausragen. Aber auch jede Zeitungsredaktion darf sich glücklich preisen, für die Graf als Autor über Film nachdenkt. Dabei ist er kein im Auftrag Schreibender; im Gegenteil: Redakteure haben zu warten, was kommt.

Das hat den Vorteil, jedes Mal mit ihm auf Entdeckungsreise in die Filmgeschichte, zu Regisseuren oder Autoren, Komponisten, Kameramännern oder Schauspielern gehen zu können, immer auf den Wellen der Begeisterung getragen, denn seine Texte sind nie aus der Lust am Verriss heraus verfasst.

Einige der schönsten, vorwiegend aus der »Süddeutschen Zeitung« und der »Frankfurter Allgemeinen«, sind jetzt in einem Buch versammelt, das »Die Filme meines Lebens« heißen könnte. Aber diesen Titel gibt es schon, François Truffaut hatte damit einst eine Auswahl seiner Artikel überschrieben, und so entschieden sich Graf und sein Herausgeber Michael Althen für eine Gedichtzeile von Joseph von Eichendorff: »Schläft ein Lied in allen Dingen«. Der komplette romantische Vierzeiler lautet so: »Schläft ein Lied in allen Dingen,/ die da träumen fort und fort,/ und die Welt hebt an zu singen,/ triffst du nur das Zauberwort.« Das ist wichtig zu wissen, denn bezogen auf die gesammelten Texte Grafs meint es zweierlei: einmal das Vermögen der Filmemacher, die mit ihrer Kunst die profane Welt gleichsam poetisch verdichten und entschlüsseln; zum anderen den Publizisten Graf selbst, der seine eigenen Zauberworte findet, um das, was er auf der Leinwand oder dem Bildschirm sah, noch einmal schreibend zu entdecken, zu bewundern.

Es sind nicht nur die Großen, über die er reflektiert, aber die sind es auch, wobei er in vermeintlichen Nebenwerken, auf Nebenstrecken den Kern ihres Oeuvres zu fassen sucht: Max Ophüls zum Beispiel wird mit seinem Hörspiel »Frau Berta Garlan« (1956) vorgestellt, in dem Graf erspürt, wie Ophüls »Schnitzlers grausame und freudianische Wahrheiten mit scheinbar liebenswürdigen Girlanden versah« und warum uns die Figuren auch fünfzig Jahre nach der Ursendung ungemein nahe rücken. An Billy Wilders »The Private Life of Sherlock Holmes« (1970), einem kommerziellen Misserfolg, bewundert Graf »die Längen und Umwege, das ist sein großes Plus«. Robert Altman bezeichnet er auch wegen seines testamentarischen letzten Werks »A Prairie Home Companion« (2006) als unsterblich. Und skizziert noch einmal die Höhen und Tiefen in der Biografie des Regisseurs und jenen Ort, an dem Altman so unschätzbar wertvoll war: »diesen bösen Rand des Mainstreams«.

Grafs Liebe zum Kino erstreckt sich freilich nicht auf alles und jeden. Wo die Achsen zu glatt geschmiert sind, die Rädchen zu reibungslos ineinandergreifen, schwindet sein Interesse; auch von müden Independents fühlt er sich eher genervt. Dagegen verneigt er sich vor Regisseuren, die etwas wagen, gerade im Genrekino, im Thriller, im Liebes- und Vampirfilm, im Actionkino, die an den »Stäben unserer selbst gebauten Käfige« rütteln und deswegen alles andere verdienen als hochmütige Herablassung. Er sorgt sich darum, ob wir es noch schaffen, »unsere kreative Matrix freizupusten« gegen blassen Sozialrealismus oder die bürokratische Idee vom Kommerz. Seine Texte laden ein, Alfred Vohrer oder Zbynek Brynych neu zu sehen, schlagen Schneisen zu Jean Eustache und Alain Tanner, Nicolas Roeg und Abel Ferrara, Marta Mészáros und Miklós Jancsó. In diesem Buch sind Namen versammelt, die jungen Kinobesuchern, aber auch jüngeren Filmemachern Schall und Rauch sein dürften. Dagegen wehrt sich Graf: Wer kein Woher hat, hat kein Wohin. Und Kino, das den Tag überdauern will, braucht weniger den flotten Event als das Bewusstsein von Zeit und Geschichte, die Verwurzelung in Traditionen, das an Vor-Bildern geschulte Vermögen, Sinn und Form in Übereinklang zu bringen. Darüber denkt Graf nach. Deshalb sind seine Texte unverzichtbar.

Dominik Graf: Schläft ein Lied in allen Dingen. Texte zum Film. Alexander Verlag Berlin, broschiert, 376 S., 11 Abb., 19,90 €.

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