Lumumbas Traum von Freiheit

1960 war das »Jahr Afrikas« – Vom schwierigen Weg in die Unabhängigkeit

  • Hans-Georg Schleicher
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Entkolonialisierung, eine der prägenden Entwicklungen des 20. Jahrhunderts, fand ihren Höhepunkt in Afrika. Mehr als 50 neue Staaten entstanden. 1960 errangen auf dem schwarzen Kontinent allein 17 Kolonialgebiete ihre Unabhängigkeit.

Am 30. Juni 1960 wurde eine der größten Kolonien, Belgisch-Kongo, zur unabhängigen Republik Kongo. Im einstigen »Herzen der Finsternis« – die Hauptstadt Leopoldville trug den Namen eines der brutalsten Kolonialherrscher – wurde mit Patrice Lumumba ein prominenter Vertreter des antikolonialen Kampfes Ministerpräsident, gegen den Widerstand Belgiens und der kongolesischen Oberschicht. Lumumba scheute sich nicht, in Anwesenheit des belgischen Königs die Kolonialpolitik anzuprangern und erklärte soziale Gerechtigkeit zum Ziel seiner Politik. »Wir werden Kongo zum Zentrum des strahlenden Glanzes der Sonne für ganz Afrika machen. Wir werden die Ländereien unseres Landes im Auge behalten, um sicherzustellen, dass wirklich dessen Kinder davon profitieren.«

Die alte Kolonialmacht, ihre Verbündeten und die dort dominanten internationalen Monopole betrachteten das als Kampfansage. Unruhen, der Kollaps der Verwaltung und vom Westen unterstützte Sezessionsbewegungen führten bereits Anfang Juli zur militärischen Intervention Belgiens. In der Folge wurde hier in einem der größten und rohstoffreichsten Länder Afrikas unter maßgeblichem Einfluss der USA exemplarisch neokoloniale Politik demonstriert – auch als Signal an Afrikas antikoloniale Freiheitsbewegung. Druck und Einflussnahme bis hin zum Militärputsch und bewaffneter Intervention sollten unbequeme oder »gefährliche« politische Kräfte ausschalten und die Kontrolle über das Land durch Marionettenpolitiker sichern. Anfang 1961 wurde Lumumba bestialisch ermordet; er gilt seither als Märtyrer und Symbol des Befreiungskampfes in Afrika.

Der weitere Weg Afrikas war schwierig und konfliktreich. Im Süden währte der Befreiungskampf gegen Apartheid, weiße Siedlerregimes und portugiesischen Kolonialismus Jahrzehnte. In den neuen Staaten wich die Hoffnung auf schnelle soziale und wirtschaftliche Veränderungen bald der Ernüchterung. Kolonialerbe und neokoloniale Abhängigkeit, fehlende materielle und finanzielle Voraussetzungen sowie untaugliche Konzepte erschwerten die Entwicklung. Fehlgeschlagene eigene Entwicklungsoptionen stärkten Tendenzen einer Anlehnung an West oder Ost und deren Gesellschaftsmodelle. Dabei wurde auch mit mehr oder weniger Geschick versucht, die eine gegen die andere Seite auszuspielen. Afrika geriet in den Sog des Kalten Krieges, der Ost-West-Konflikt erhielt hier eine eigene Süd-Dimension – bis hin zu Stellvertreter-Kriegen.

Korruption und eine expandierende Bürokratie wurden typische postkoloniale Erscheinungen. Mangelnde Demokratie erwies sich immer mehr als Entwicklungshemmnis. Ansätze demokratischer Entwicklung wurden häufig durch Militärputsche zerstört. Einparteienstaaten und Diktaturen gehörten bald zum Bild Afrikas. Der Kontinent litt unter den unfairen Weltwirtschaftsbedingungen. Erhielt Afrika in den 1980er Jahren 100 Milliarden Dollar Entwicklungshilfe, so kostete allein der Verfall der Rohstoffpreise im gleichen Zeitraum den Kontinent 150 Milliarden Dollar. Hinzu kamen selbstverschuldete Probleme wie ökonomische Ineffizienz und planwirtschaftliches Missmanagement.

Als zeitgleich mit den internationalen Veränderungen Anfang der 1990er Jahre sich auch die Konflikte im Süden Afrikas auflösten, blieb die versprochene Friedensdividende für Afrika aus. Die weltwirtschaftlichen Interessen hatten sich verschoben. Vom Internationalem Währungsfonds und von der Weltbank oktroyierte Strukturanpassungsprogramme verschärften die Lage auf sozialem Gebiet.

Afrika musste sich verstärkt auf seine eigenen Kräfte besinnen. Natürlich reichen 50 Jahre nicht, um den jahrhundertealten europäischen Entwicklungsvorsprung zu kompensieren. Zu den positiven Entwicklungen nach Überwindung des Kolonialismus gehören Fortschritte bei der Demokratisierung sowie in Bildung und Gesundheit. Zahlreiche noch bestehende alte und auch neue Konflikte wurden gelöst. Das Konfliktpotenzial ist weiterhin groß, deren Zahl hat sich jedoch reduziert, nur wenige sind schwere bewaffnete Konflikte. Afrika verstärkt gleichzeitig seine regionale Integration und die Süd-Süd-Kooperation, wo es mit China und Indien neue starke Partner findet. Der Kontinent sucht seinen Platz in der globalisierten Welt und baut dabei nicht nur auf das wiedererweckte Interesse an seinen Rohstoffen.

Das Bild des Kontinents wandelt sich. Beobachter sprechen von einer sich abzeichnenden Trendwende und einem gewachsenen Selbstbewusstsein der Afrikaner. Das zeigt sich in den Partnerschafts-Verhandlungen mit der EU, aber auch bei eigenen Bemühungen um Konfliktlösungen. Afrika ist zurück auf der Weltbühne. Wie kompliziert der Weg noch ist, zeigt das Land Lumumbas, das nach Jahrzehnten Diktatur, Bürgerkrieg und Interventionen immer noch nicht zur Ruhe gekommen ist.

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