Ein Windhauch aus dem Paradies

Robert Wilson inszenierte in Prag »Káta Kabanová« von Leoš Janácek

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Das prächtige, im matten Glanz seines vergoldeten Logenrunds funkelnde Volkstheater in Prag, das Národni divadlo unmittelbar an der Moldau mit Balkonblick auf den Hradschin, schafft es, sich trotz aller finanzieller Bedrängnis immer mal wieder als europäisches Opernhaus mit Geschichte und mit Gegenwart in Erinnerung zu bringen. So jetzt mit Robert Wilsons Inszenierung von Leoš Janáceks »Káta Kabanová«.

2002 hatte der Texaner hier schon einmal mit bemerkenswerter Präzision die selten gespielte und erst Jahrzehnte nach Janáceks Tod uraufgeführte Oper »Osud« seinem Farben- und Gesten-Universum einverleibt. Bei Wilson geht es, neben der Frage, ob eine Musik oder ein Stück zu ihm passt oder nicht, immer mehr darum, wie weit er sich dazu verführen lässt, das Kanonisierte seiner Kunstwelt aufzubrechen, Witz zuzulassen, oder seinen Helden eben auch so etwas wie eine stilisierte Psychologie zu gestatten. Am Berliner Ensemble kann man eine Reihe gelungener Beispiele für diese allmählich altersmilde Gelassenheit Wilsons mit sich selbst bewundern.

Und auch in Prag sieht man von Zeit zu Zeit den »Alten« gern. Noch dazu, wenn sich das Flair des Weltkünstlers so mit dem eigenen Beitrag zur Weltkultur verbindet wie im Falle des großen Mähren Janácek. Dabei nutzt vor allem der Musikdirektor des Hauses, der längst auch in Dresden und Salzburg geschätzte Tomáš Netopil, den emotional idiomatischen Heimvorteil für eine Janácek-Farbigkeit im Graben, die zwar auf die symphonische Verführungskraft des Orchesterparts baut, dabei aber – deutlicher als es die Romantikprägung deutscher Orchester erlaubt – auch prägnant aufraut, und metallische Klänge nicht tarnt, sondern betont.

Diese schmerzlich pointierten Klang-Färbung streben auch die durchweg exzellenten Interpreten an, wenn sie ihre stimmliche Vehemenz wie selbstverständlich mit Wilsons Formenstrenge verbinden.

Dabei hat natürlich das Böse die besten Karten und die grandios aufdrehende Eva Urbanová macht aus ihrer Kabanicha natürlich ein bis ins Hexenhafte gesteigertes Standbild der eingeschnürten Unerbittlichkeit. Sie ist die Personifizierung der moralischen Enge, die den Ausbruchsversuch der vereinsamt träumenden, sich nach Liebe sehnenden Katja zum Scheitern bringt. Denn sie überschattet sogar das Unterbewusste Katjas, treibt sie zu dem Geständnis von ihrer Liebe zu Boris und letztlich zum Selbstmord.

Die berühmte Gewitterszene, die die bedrängte Katja als göttlichen Fingerzeig missversteht, ist in Prag ein szenischer Coup. Da ist das Haus, das zunächst als Mini-Skizze auf der Farbrückwand aufgetaucht war, zu einer Bühnenskulptur geworden. Offen und doch bedrängend, ist es nicht der Zufluchtsort, in den sich die Schutzsuchenden flüchten, sondern das Gefängnis, aus dem sich Katja in einem selbstzerstörerischen Aufschrei befreit. Unter einem Feuerwerk verglühender Sternschnuppen lässt hier ein evoziertes inneres Gottesgericht Katja samt Haus in den Fluten versinken. Wenn sie am Ende wirklich ins Wasser gehen müsste, flüchtet sie sich hier in eine andere Welt. Nicht wie der erträumte Vogel im Flug, sondern wie ein Engel vermutlich dem Paradies zugewandt, das mit seinem verklärenden Licht und einem lauen Wind in die triste Welt grüßt, in der die anderen zurückbleiben.

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