nd-aktuell.de / 30.06.2010 / Politik / Seite 5

»Kosovo für Roma nicht zumutbar«

Gefährdung der Flüchtlinge wird ignoriert

Antje Stiebitz
Sieben Experten nahmen am Montag in einer Anhörung des Innenausschusses zu den Rückführungen von Roma, nach Kosovo Stellung und beantworteten Fragen der Bundestagsfraktionen. Hintergrund der Anhörung waren Anträge der Grünen und der Linkspartei, die Abschiebungen zu stoppen.

Rund 13 000 Roma, Ashkali und Ägypter sollen in den nächsten zehn Jahren nach Kosovo abgeschoben werden. Schätzungen zufolge sind 42 bis 50 Prozent von ihnen Kinder. Die meisten von ihnen wurden bereits in Deutschland geboren, sind hier aufgewachsen und betrachten Deutschland inzwischen als ihre Heimat.

In Kosovo, warnte der Sachverständige Stephan Dünnwald von der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, erwarte die Flüchtlinge eine Nach-Bürgerkriegsgesellschaft, in der die Gräuel und Vertreibungen der letzten zwanzig Jahre tiefe Wunden gerissen haben. Die Lage sei zwar ruhig, aber keiner könne einschätzen, wann sich ethnische Spannungen – wie etwa im März 2004 – wieder neu entladen könnten. Und gerade die Minderheiten der Roma, Ashkali und Ägypter seien unter den ethnischen Gruppen das schwächste und am meisten gefährdete Glied. Dünnwald kommt zu dem Fazit, dass Kosovo kein sicheres Herkunftsland für Rückkehrer sei und es nicht vertretbar sei, dorthin abzuschieben.

Auch Sebastian Ludwig von der Diakonie hält es für Roma nicht zumutbar, nach Kosovo zurückzukehren. »Der Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen wie zum Arbeitsmarkt, zum Bildungssystem und zur Gesundheitsfürsorge ist für Angehörige ethnischer Minderheiten nahezu verschlossen.«

Analysen zeigten immer wieder klar, so Christian Schwarz-Schilling, ehemaliger Hoher Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina, dass die Existenz der Roma in Kosovo weder erwünscht noch für sie erträglich sei, doch die Innenminister setzten sich über diese Fakten bedenkenlos hinweg. Die Erkenntnisse von internationalen Organisation, wie die UN, UNHCR oder OSZE blieben genauso unbeachtet wie die Appelle des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon oder des Menschrechtkommissars der Europäischen Union, erklärt Schwarz-Schilling. Vor den Zwangsmaßnahmen der Ausländerbehörden flüchteten die verängstigten Roma ins Kirchenasyl oder in den Untergrund. Schwarz-Schilling bezieht sich auch auf die historische Verantwortung der Deutschen den Roma gegenüber. Fast jede zweite oder dritte Romafamilie habe Verwandte, die im Holocaust gestorben seien. »Wir müssen lernen, dass es nicht ausreicht, für die Vergangenheit Gedenkstunden zu halten und Denkmäler zu errichten und in der Gegenwart die Augen vor dem von uns selbst angerichteten Leid zu verschließen«.