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Rot-Rot mit gleichen Grundwerten

Diskussion über das Miteinander von LINKE und SPD in Berlin und Brandenburg mit Kerstin Kaiser, Udo Wolf, Michael Müller und Dietmar Woidke

  • Lesedauer: 8 Min.
Rot-rote Koalitionen regieren in Berlin und Brandenburg. Zum ND-Pressefest setzten sich am 20. Juni die Genossen der Hauptstadtregion in der Kulturbrauerei zusammen. Es diskutierten die Fraktionsvorsitzenden von Linkspartei und SPD im Brandenburger Landtag, Kerstin Kaiser und Dietmar Woidke, sowie ihre Amtskollegen im Berliner Abgeordnetenhaus, Udo Wolf und Michael Müller.
Udo Wolf, Michael Müller, Kerstin Kaiser, Klaus Joachim Herrmann und Dietmar Woidke (v.l.n.r.) in der Berlin-Brandenburger Runde des ND-Pressefestes ND-
Udo Wolf, Michael Müller, Kerstin Kaiser, Klaus Joachim Herrmann und Dietmar Woidke (v.l.n.r.) in der Berlin-Brandenburger Runde des ND-Pressefestes ND-

ND: In Düsseldorf mischt man gerade die Karten neu. SPD und Grüne versuchen eine Art heimliche Tolerierung durch die LINKE. Gab es schon Anfragen aus Düsseldorf, wie man so was macht oder wie man mit den Roten auskommt?

Wolf: Am Rande des Rostocker Parteitages habe ich mit dem Fraktionsvorsitzenden der LINKEN, Wolfgang Zimmermann, kurz gesprochen. Da ging es noch um die Frage, was man in Koalitionsverhandlungen so macht. Ich fände eine Koalitionsregierung sinnvoller. Tolerieren ist immer eine relativ kurzfristige Veranstaltung.

Müller: Der Umgang mit der Linkspartei ist in der SPD schon seit einiger Zeit Thema. Gerade in den westlichen Bundesländern. Inzwischen hören in bundespolitischen Gesprächen, bei denen wir Berliner vertreten sind, die anderen schon genau hin. Sie finden es auch ganz beeindruckend, dass es hier seit acht, neun Jahren eine gute und konstruktive Zusammenarbeit gibt. Unsere Koalitionsvereinbarung war eine zeitlang ein Renner. Wir mussten schon aufpassen, dass wir noch ein paar Exemplare für uns übrig behalten.

Kaiser: Nordrhein-Westfalen kann ja aus der Geschichte lernen. Es gibt Tolerierungserfahrungen mit und in der PDS. Man kann nachgucken, was die Genossen in Sachsen-Anhalt damals gesagt haben. Die haben gesagt: Koalition ist immer besser – ohne dass Tolerierung falsch war. Ich wundere mich nur, dass die Brandenburger Präambel in Düsseldorf bei der SPD keinen Bestand hatte. Darin geht es darum, wie SPD und LINKE gemeinsam aus der Vergangenheit lernen und ihnen ein Politikwechsel gelingen kann.

Woidke: Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht und natürlich auf Bundesebene viele Gespräche geführt. Aber das Wichtigste ist eine Bundesratsmehrheit gegen Schwarz-Gelb. Die von dieser Koalition geplanten zusätzlichen sozialen Schieflagen und Ungerechtigkeiten dürfen nicht hingenommen werden.

Rot-Rot regiert in Berlin und Brandenburg. Wie läuft es, wie geht es weiter?

Müller: Wir sind und bleiben konkurrierende Parteien, und wir schenken uns auch nichts. Dass kann ja keine Einheitssoße sein, wo immer die eine Partei das macht, was die andere gerade will. Entscheidend ist, dass es eine grundsätzliche Vertrauensbasis gibt für einen grundsätzlichen Weg. Sucht man gemeinsam den sozialen Ausgleich? Ist Integrationspolitik wirklich ein Schwerpunkt? Es wird immer dann schwierig, wenn es über die Stadtgrenzen hinaus geht. Bundespolitische Entwicklungen beurteilen wir unterschiedlich, Europapolitik, auch Friedenspolitik, Außenpolitik.

Geht man öfter knurrend aus Gesprächen mit der SPD raus oder öfter fröhlich?

Wolf: Ein guter Kompromiss ist immer der, bei dem beide Seiten leiden müssen. Also geht man aus vielen Gesprächen auch knurrend raus. Aber wir können mit dem, was wir für die Stadt erreicht haben, schon sehr zufrieden sein. Wir haben grundsätzliche Differenzen bei Hartz IV und trotzdem konnten wir uns darüber einigen, dass wir einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor in Berlin schaffen, der bundesweit Vorbildfunktion hat. Wir konnten uns auf Haushalte einigen, in denen die soziale Balance unter schwierigen Bedingungen gewahrt geblieben ist. Michael Müller hat völlig recht, wir sind konkurrierende Parteien. Solange der Streit produktiv ist, ist er auch gut für die Stadtgesellschaft.

Herr Woidke, Sie sind ja als Agrarminister in der rot-schwarzen Regierung von den LINKEN häufig geärgert worden. Sie galten auch nicht als Freund von Rot-Rot. Wie schwer fällt es Ihnen denn, in den oppositionellen Quälgeistern von einst jetzt den befreundeten Koalitionspartner zu sehen?

Woidke: Als Agrarminister braucht man schon ein relativ dickes Fell. Aber wir hatten immer fachlich fundiert eine sehr gute Basis. Bei Rot-Rot habe ich niemals gesagt, das kommt nicht in Frage. Ich weiß aus vielen Jahren der Landtagsarbeit, dass es viele gute konstruktive Leute auch in der linken Landtagsfraktion gibt. Allerdings ist nach fast 20 Jahren Opposition für sie das Regieren in Brandenburg schwierig. Wir sind ja mit Kerstin Kaiser in den Flitterwochen und noch dabei, uns zu finden.

War Opposition angenehmer?

Kaiser: Es ist nicht angenehm, Dinge, die man für richtig hält, nicht in praktische Politik umsetzen zu können.

Man hört, es grummelt in der SPD wegen der rot-roten Koalition?

Woidke: Wir hätten uns natürlich einen anderen Anfang gewünscht. Diese Stasi-Debatten wurden gerade von der CDU instrumentalisiert, um ihre eigene Geschichte als Blockpartei vergessen zu machen. Da wird im Landtag angefangen, über die Zwangskollektivierung in der DDR und noch dazu über die Rolle von Mathias Platzeck zu debattieren. Ich habe mich gefragt, wie der kleine Matthias im zarten Alter von zweieinhalb Jahren an der Seite von Wolf Biermann durch die Dörfer gezogen sein muss. Wolf Biermann hat Gitarre gespielt und Matthias hat eine kleine Trommel in der Hand gehabt und versucht, die Bauern für die Genossenschaft zu überzeugen. Ein Stück aus dem Tollhaus, was die CDU als führende Oppositionspartei bei uns aufführt. Wenn jemand Rot-Rot am Anfang nicht leiden konnte, nach den letzten Monaten ist die Partei davon überzeugt, dass der Kurs richtig ist.

Kaiser: Leider unbeachtet von der Öffentlichkeit – auch der eigenen – passiert in Brandenburg dann so etwas wie die Vorbereitung eines Vergabegesetzes nach Mindestlohnkriterien, nach 15 Jahren endlich die Verbesserung des Betreuungsschlüssels in Kindertagesstätten, die Einführung öffentlich geförderter Beschäftigungsverhältnisse. Wichtig ist, dass in einer Koalition die gemeinsamen Schritte klar sind.

Aber in schwierigen Zeiten kommen ja auch eine Menge Konflikte. Wo soll gespart werden?

Wolf: Das Sparpaket der Bundesregierung ist eine schwere Zumutung. Erst macht man ein Konjunkturprogramm und hinterher versucht man, mit einem unglaublichen Sparpaket die sozial Schwachen der Gesellschaft zahlen zu lassen für die Krise. Länder und Kommunen sollen noch ärmer werden. Das muss gestoppt werden. Deshalb müssen wir die Bundesratsinitiative für die Einführung einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes und für die Einführung einer Vermögenssteuer auf den Weg bringen.

Müller: Also bei den Einnahmen sind wir uns einig: Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Spitzensteuersatz. Dazu, hoffe ich, wird es auch eine Verständigung zwischen den Bundesländern für den Bundesrat geben. Aber ohne Kürzungen oder Sparen wird es auch nicht ganz laufen können, sowohl auf der Bundes- wie auf der Länderebene. Das Verheerende ist die Haltung der Bundesregierung, diese Selbstverständlichkeit, unten zu kürzen und nicht oben. Hier soll ein Land gespalten und nicht zusammengeführt werden.

Wo sieht Brandenburg die Prioritäten im Sparkurs?

Woidke: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass wir diese Bundesratsinitiative unterstützen. Vielleicht können wir es auch gemeinsam machen. Das wäre vollkommen in unserem Sinne. Wir werden jetzt mit der Landesregierung zusammen darüber beraten, an welchen Stellen gespart werden muss. Gespart werden muss allerdings auch deshalb, weil die Verursacher und Profiteure der Krise nicht mal annähernd zur Kasse gebeten werden.

Kaiser: Die Spaltung in Arm und Reich ist bereits vollzogen. Es gibt mehr Leute mit prekären Einkommensverhältnissen, aber wir haben auch mehr Millionäre. Zur Erbschafts- und Vermögenssteuer muss noch die Finanztransaktionssteuer kommen. Der Finanzminister des Landes Brandenburg hat sich deshalb an die Europäische Kommission gewandt. Wir überlegen hier auch bundespolitische Schritte.

Wir brauchen mit dem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor Einkommen für die Leute, die jetzt von Hartz IV leben. Wir machen das Schüler-BAföG, wir bleiben bei den Ausgaben für mehr Lehrerinnen und Lehrer und mehr Erzieherinnen in der Kita. Wir bleiben verlässlich bei der Bekämpfung von Armut. Die Politik von Merkel und Westerwelle ist nicht alternativlos.

Es scheint zu klappen mit den Nachbarn. Sollte man sich der Fusion mal wieder annehmen?

Müller: Ich bedaure, dass es immer noch Vorbehalte gibt. Wir arbeiten schon in vielen Punkten hervorragend zusammen. Wir haben gemeinsame Institutionen, wir bauen jetzt einen Flughafen. Solange wir uns immer noch Konkurrenz zum Beispiel in der Wirtschaftspolitik machen, unsere Ressourcen nicht zusammenbringen, solange werden andere Regionen mitunter die Nase vorn haben. Wir müssen aber auch akzeptieren, dass es einfach keinen Sinn hat, pausenlos abzustimmen.

Woidke: Momentan ist Fusion für die Brandenburger ein Thema, das nur weit, weit unter ferner liefen läuft. Ich formuliere es mal so: kurzfristig unmöglich, mittelfristig wünschenswert, langfristig denkbar. Aber ich dachte, wir reden in dieser Runde mal über eine andere Fusion ...

Moment, Herr Woidke. Jetzt haben Sie uns neugierig gemacht.

Woidke: Bei dieser Koalition kann man sich natürlich die Frage stellen, ob es denn unmöglich ist, diese Zusammenarbeit enger zu gestalten. In welcher Form auch immer. Die Übereinstimmungen sind schon sehr, sehr groß. Deswegen ist die Koalition in Berlin sehr stabil. Unsere Brandenburger Koalition wird sich ebenfalls als sehr stabil erweisen – weil die Grundwerte die gleichen sind.

Wolf: Wir können aus Erfahrung sagen, dass eine Parteifusion ein langwieriger Prozess und nicht so ganz einfach ist. Ich hätte gerne mal zwischendurch eine längere Pause. Bei der Länderfusion sind wir gut beraten, die Vorbehalte, die es insbesondere in den von Berlin etwas entfernter liegenden Regionen gibt, offensiv auszuräumen.

Kaiser: Die Berliner können sich ja drehen und wenden, wie sie wollen, sie haben immer Brandenburg im Rücken. Die kreisfreie Stadt in unserer Mitte hat ihre Probleme zu lösen, gemeinsam haben wir andere. Wir brauchen vor allen Dingen eine demokratische Sicherheit, dass nicht die Mehrheit der Berliner künftig eine Minderheit der Brandenburger überstimmt. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass wir in gemeinsamer Arbeit besser vorankommen. Auf keinen Fall darf das Fusionsthema ein Spielball politischer Taktik sein.

Moderation: Andreas Fritsche/Klaus Joachim Herrmann

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