Tausende gegen Volkszählung 2011

Mehr als 13 000 Menschen unterstützen Verfassungsbeschwerde / Sie soll am Freitag in Karlsruhe eingereicht werden

Nach fast 30 Jahren muss sich das Bundesverfassungsgericht wieder mit einer Volkszählung beschäftigen. Datenschützer wollen die für 2011 geplante »Vollerfassung« der Bevölkerung stoppen.

Für datenbewusste Menschen gibt es ein paar Reizworte, die quasi automatisch ihren Widerstand herausfordern: »Volkszählung« ist eines davon. Die letzte Volkszählung musste sich die Bundesrepublik 1987 hart gegen den erbitterten Widerstand Tausender Bürger erkämpfen, die den staatlichen Fragenkatalog nicht beantworten mochten. Ein erster Anlauf 1983 war vom Bundesverfassungsgericht gekippt worden, das in seinem Urteil erstmals vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung sprach.

2011 sollen nun erneut Daten über die Lebensverhältnisse der Bevölkerung zusammengetragen werden, EU-weit. Statt des unpopulären »Volkszählung« heißt es diesmal im Jargon der Statistiker »Zensus2011«. Um Protest kommt die Bundesregierung trotzdem nicht herum: Mehr als 13 000 Menschen unterstützen eine Verfassungsbeschwerde, die Datenschützer diesen Freitag beim Bundesverfassungsgericht einreichen wollen. Gestern gingen die drei Wochen zu Ende, in denen die Beschwerde online unterschrieben werden konnte. Mit der Klage wollen die Initiatoren um den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung erreichen, dass die Volkszählung ausgesetzt und das Zensus-Gesetz neu erarbeitet werden muss.

Bei einem Zensus werden Einwohner nicht einfach »durchgezählt«, sondern viele sensible Daten ausgewertet. Das umfasst in Deutschland Angaben zu Wohnung und Arbeit, aber auch zu Migrationshintergrund und Religionszugehörigkeit, wobei nur die islamischen Glaubensrichtungen aufgeschlüsselt werden, nicht aber die christlichen Kirchen.

Von der Datenverarbeitung merkt die Mehrheit jedoch nichts: Im Unterschied zu früheren Volkszählungen werden die Haushalte nämlich diesmal nicht direkt befragt, sondern in erster Linie schon vorrätige Daten in Behörden zu einer großen Datenbank zusammengeführt. Zulieferer sind vor allem Meldeämter und die Agentur für Arbeit. Klassische Fragebögen bekommen nur noch drei Bevölkerungsgruppen zugestellt: Wohneigentümer, per Zufallsgenerator ausgewählte Einwohner sowie Menschen in sogenannten Sonderbereichen, was Psychatrien, Gefängnisse oder Altersheime meint. Wer nicht mitmacht, dem drohen 5000 Euro Bußgeld. Der Zensus ist nach Aussage der Bundesregierung nötig, um Kindergärten, Gasleitungen oder auch den Länderfinanzausgleich und Wahlkreise besser planen zu können.

Für die Kritiker des Vorhabens geht die geplante Datensammlung jedoch weit über das für eine Volkszählung Notwendige hinaus. So sei etwa die Abfrage der Religion von der EU gar nicht vorgeschrieben. Außerdem sehen sie die Anonymität verletzt: »Die Zuordnung der Daten aus der Volkszählung 2011 durch eine eindeutige Personenkennziffer wird bis zu vier Jahre oder gar länger möglich sein«, betont die Bremer Rechtsanwältin Eva Dworschak, die mit der Vorbereitung der Beschwerdeschrift befasst ist. Eine »sprechende« Ordnungsnummer hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil von 1983 ausdrücklich verboten.

Die zentrale Speicherung an sich ist für Datenschützer bedenklich. Sie hören schon die Rufe von Politikern und Behörden, die ähnlich wie bei den Mautdaten später Zugriff auf diesen Datenpool begehren. Auch vor Diebstahl seien die Einwohnerdaten nie sicher.

Die Wiederbelebung der Protestbewegung wird dennoch nicht einfach. Die jetzige Methode ist wenig spürbar und erfordert kaum Mitwirkung, die wie in den 80er Jahren verweigert werden könnte. Zudem trägt sie den Gütestempel des Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar, der die Umsetzung der Bundesverfassungsgerichtsvorgaben für »weitgehend gelungen« hält. Der zu erhebende Datenkatalog entspreche im Wesentlichen dem von 1987, den das Gericht in Karlsruhe nicht beanstandet habe. Bedenken hat Schaar bei der namentlichen Erfassung der »Sonderbereiche«. Auch hätte er auf die Abfrage der Religionszugehörigkeit lieber verzichtet, die allerdings 1987 in Karlsruhe durchgegangen sei. Die Kritiker müssen also abwarten, ob die Richter im Informationszeitalter fast 30 Jahre später ihr Urteil anpassen.

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