Wahrheit oder Täuschung?

Münchner Hypo-Kunsthalle: »Realismus – Das Abenteuer der Wirklichkeit«

  • Barbara Reitter
  • Lesedauer: 2 Min.

Die Streitfrage ist so alt wie die Kunst selbst: kann man Wirklichkeit darstellen? Entspricht das, was das menschliche Auge sieht, auch tatsächlich der Realität? Während der griechische Philosoph Platon alle Maler als böse Täuscher verteufelte, glaubte man im Barock mithilfe der Trompe l'oeil Malerei die Wahrnehmung zu täuschen. Seit Gustave Courbet im Jahr 1853 seine legendäre Pariser Protestausstellung mit dem Begriff »Réalisme« betitelte, müht sich die Malerei mit handwerklicher Perfektion um den schönen Schein. Heute ist wissenschaftlich bewiesen: die Wirklichkeit ist objektiv nicht erkennbar.

Diesem unglaublich spannenden Thema geht die Hypo-Kunsthalle zu ihrem 25-jährigen Geburtstag nun mit einer umfangreichen Themenschau unter dem Motto »Realismus. Das Abenteuer der Wirklichkeit. Courbet, Hopper, Gursky...« nach. Die Fülle der mehr als 180 Exponate von 120 Künstlern ist nicht etwa chronologisch geordnet, sondern in kleineren Kabinetten nach Themen gegliedert. Das ermöglicht zum einen das Entdecken überraschender Korrespondenzen zwischen Epochen und Techniken, zum anderen erleichtert es die Rezeption enorm, da jeweils nur etwa 20 Bildwerke zusammengehängt wurden.

Der Bogen spannt sich vom Realismus des 19. Jahrhunderts über die Neue Sachlichkeit zu Pop Art, Fotorealismus und aktuellen Tendenzen. Kein Genre, das sich nicht mit technischer Raffinesse, detailverliebter Präzision und handwerklicher Meisterschaft an der illusionistischen Wiedergabe der Realität abgearbeitet hätte. So sieht man neben Gemälden und Grafiken berühmter Altmeister wie Courbet, Millet, Vallotton oder Menzel auch lebensechte Skulpturen von Duane Hanson, Fotos von Klassikern wie August Sander neben inszenierten und digital bearbeiteten Aufnahmen wie Hoepkers »11. September« sowie Videoarbeiten der jüngsten Zeit.

Auch wenn häufig nur der Ausschnitt eines Motives zu sehen ist, wenn Lichtführung, Perspektive oder die Situierung im Raum den Blickwinkel von Maler und Betrachter bestimmen - faszinierend ist diese Auseinandersetzung allemal, genauso frappierend wie der Blick auf die realistische Darstellung. Die Arbeiten zeigen Gesichter und Körper, darunter Otto Dix »Neugeborenes« oder Christian Schads »Maika«, Landschaften wie Gerhard Richters poetische »Wiese«, theatralische Räume, u.a. Thomas Demands »Gate«, Candida Höfers Goethe-Haus und Thomas Ruffs spießige Interieurs. Neben Stillleben mit Pflanzen und Früchten gibt es Werke mit Gebäuden und Industrielandschaften, ein Abbruchhaus von Menzel und die Foto-Dokumente des Ehepaars Becher. Manche der ausgestellten Exponate wirken wie perfekte Täuschungen, andere wieder wie Konstrukte von Bühnenbildnern. Dennoch sind es keine Spiegelbilder, die man zu sehen bekommt, vielmehr halten sie dem Betrachter einen Spiegel hin. Ganz so, wie Elias Canetti es einmal formulierte: »Der Weg zur Wirklichkeit geht über Bilder«. (Bis 5.9., Katalog)

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