Werbung

Lebens-Künstler

Das Konzert von Radu Mihaileanu

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Eigentlich hatte der Abgesandte des »Théâtre du Châtelet« sich seine russischen Kollegen vom Orchester des Bolschoi-Theaters nicht als die lärmende und wild gestikulierende Truppe vorgestellt, die er auf dem Pariser Flughafen in Empfang nimmt. Einzig der Dirigent macht einen seriöseren Eindruck. Doch Andrej Filipow ist kein Dirigent … mehr. Seit vor 30 Jahren Leonid Breschnew höchstpersönlich seine letzte Aufführung am Bolschoi – Tschaikowskis Konzert für Violine und Orchester – aus politischen Gründen abbrechen ließ, fristet der Ex-Alkoholiker ein Dasein als Putzmann des renommierten Theaters.

Als er jedoch zufällig im Büro des neureichen Bolschoi-Direktors ein Fax abfängt, welches dessen Orchester kurzfristig für ein Gastspiel nach Paris einlädt, wittert Andrej (hervorragend: Alexej Guskow) seine Chance auf Rehabilitierung. Prompt trommelt er seine ehemaligen Musikerkollegen zusammen – die sich mittlerweile als Krankenpfleger, Taxifahrer oder Porno-Synchronsprecher verdingen – und schließt mit Hilfe des windigen Ex-Bolschoi-Managers Gawrilow hinter dem Rücken der offiziellen Leitung den Vertrag ab. Wieder soll Tschaikowski gespielt werden, und außerdem hat sich Andrej ausbedungen, dass die junge französische Star-Geigerin Anne-Marie Jacquet (Mélanie Laurent) den Violinenpart beim Konzert übernimmt. Mit ihr verbindet ihn ein schmerzliches Geheimnis …

Wie so oft in den Filmen Radu Mihaileanus basiert auch der Plot in »Das Konzert« auf einer Hochstapelei. Ein Künstler, dem das politische System einen Strich durch seine Lebensplanung gemacht hat, entwickelt eine außerordentliche – und für den Zuschauer höchst vergnügliche – Energie, um die ihm gebührende Anerkennung wieder zu erlangen. Doch handeln Mihaileanus Hochstapler nie aus einer Laune heraus, sondern stets aus existenzieller Not. So wie die jüdischen Shtetl-Protagonisten in »Zug des Lebens«, die ihre eigene Deportation vortäuschen, um die Nazis zu überlisten. Oder der äthiopische Flüchtlingsjunge, der sich in »Geh und lebe« (2005) als Jude ausgibt, um in Israel ein besseres Leben zu führen.

In »Das Konzert« gelingt es Mihaileanu verblüffend präzise, mit den Mitteln der Komödie das heutige post-sozialistische Russland zu sezieren. Es geht um verlorene Lebensentwürfe – verursacht durch die Diktatur des realen Sozialismus oder den Neo-Kapitalismus. Sein Engagement für jüdische Musiker kostete den Maestro Andrej in der Sowjetunion Beruf und Ansehen. Im heutigen Russland fasst er ebenso wenig Fuß wie der in nostalgischer Sowjet-Verehrung stagnierende Gawrilow. Dieser hat sich die »Internationale« als Handy-Klingelton heruntergeladen und bezahlt für seine kommunistischen Meetings regelmäßig ein paar Dutzend Claqueure. Ihn trifft der Spott des Regisseurs ebenso hart wie russische Mafiosi oder neureiche Magnaten.

Mihaileanus Sympathie gilt auch hier wieder Lebenskünstlern, die oft Juden oder Zigeuner sind und gleich nach ihrer Ankunft in Paris die Stadt durch diverse improvisierte Geschäfte auf den Kopf stellen. Wie Andrej mit diesem undisziplinierten Haufen ein Konzert bestreiten will, fragt sich nicht nur die junge französische Star-Geigerin Jacquet, sondern auch der Zuschauer, der jedoch spürt, dass in der Anarchie der Truppe viel Kraft steckt. Dabei chargieren die Schauspieler mitunter hemmungslos und lassen den Film zeitweilig in die Klamotte abdriften. Doch die konsequente Überzeichnung fast aller Figuren, inklusive der snobistischen französischen Gastgeber, relativiert gewisse Klischees sofort wieder. Auch werden die durchaus ernsten Themen wie politische Repression im Sozialismus oder die Schuldgefühle Andrejs derart gekonnt und mit geschickten Finten in den Plot eingebaut, dass dabei eine beträchtliche, vor allem emotionale, Spannung entsteht.

Beim atemberaubenden Konzert-Finale bleibt dann kein Auge trocken. In einer packenden Montage voller Rückblenden und Großaufnahmen wird schließlich das Geheimnis des Helden gelüftet. Wem bei dieser hinreißenden Tschaikowski-Darbietung nicht das Herz aufgeht, der muss ein emotionaler Autist sein.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal