Protagonist des Informel

»Vom Esprit der Gesten« stellt im Kupferstichkabinett Hans Hartungs grafisches Werk vor

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.
»L 16-1974«, 1974 Grafik: VG Bild-Kunst, Bonn 2010
»L 16-1974«, 1974 Grafik: VG Bild-Kunst, Bonn 2010

Eine Schenkung gab den Anlass. Die Fondation Hans Hartung & Anna-Eva Bergman in Antibes übereignete dem Kupferstichkabinett 213 druckgrafische Werke von Hans Hartung. Damit besitzt Berlin neben Genf und Paris einen repräsentablen Querschnitt durch das Werk eines der Hauptvertreter des Informel. Ist Hartung eher als Maler bekannt, schuf er zwischen 1921 und 1984 mehr als 600 druckgrafische Arbeiten, in denen er mit den verschiedenen Techniken experimentierte und doch seinem Anliegen treu blieb: Esprit und Energie gemäß einer auf Tempo zielenden Arbeitsweise in abstrakten Kompositionen zu entladen. Kandinsky und Klee hatten ihn früh fort vom Gegenständlichen gelockt.

In Leipzig, Dresden und Paris studierte er Malerei, in München dann auch Drucktechniken. Ab 1935 lebte der 1904 in Leipzig Geborene in Frankreich, erhielt 1946 die französische Staatsbürgerschaft. Zwei Jahre zuvor hatte ihn der Krieg ein Bein gekostet. Das südfranzösische Antibes wird ihm bis zum Tod 1989 Wahlheimat. Dort entstehen in exzessivem Prozess viele seiner vorzüglichen Grafikblätter. Internationale Preise ehren ihn, Museen richten ihm eigene Räume ein, zwei Mal erhält er das Verdienstkreuz der Bundesrepublik. Als er 1959 an der documenta II in Kassel teilnimmt, ist Informel die dominierende Kunstrichtung. Für ihn bleibt sie fortan prägend.

Art informel geht auf einen Anfang der 1950er Jahre geprägten Begriff zurück und meint eine von festen Formen getrennte Kunst, die weder konkret noch figurativ ist. Farbe und Linie stehen für sich, ohne Bindung an einen abzubildenden Inhalt, im freien Umgang mit der Fläche. Bis zur Ablösung durch Pop Art ab den 1960ern blieb Informel populär, noch danach beeinflusste es andere Künstler; seit den 1980ern stößt Informel wieder auf Interesse.

Gut 60 druckgrafische Werke von Hartung bringt die Ausstellung »Vom Esprit der Gesten. Hans Hartung, das Informel und die Folgen« in Dialog mit Einzelblättern von 27 Künstlern aus dem Bestand des Kupferstichkabinetts: Wols, Dalí, Soulages, Rauschenberg, Lichtenstein, Pollock, Twombly, Vedova. Zentrum bleibt freilich Hartung; zitronengelbe Wände wie sich kreuzende Diagonalen kreieren kleine Kabinette für die einzelnen Techniken.

Von Hartungs Anfängen kündet seine Radierung »Die Kröte« aus dem Jahr 1927: Mit linienhafter Leichtigkeit zeigt ein Junge das Tier in seiner Hand her. Die frühesten anderen Werke sind rund ein Vierteljahrhundert jünger. Hartung, auch hier praktisch, gibt ihnen keine konkreten Titel mehr. So bedeutet »L 1973-18« eine Lithografie von 1973 im 18. Exemplar. Schnell arbeiten könne er in seiner Lieblingstechnik, bekennt er. Zeigen einige Arbeiten dünnlinige Ballungen, setzen andere breite Balken ein, wie eine Farbwalze sie ermöglicht; oder zart weiße Linien rastern ausfasernden schwarzen Grund wie Spuren von Leuchtkugeln. Die eine Figuration bedeckt das ganze Blatt, die nächste schwebt als kleines Gewölk mittig auf hellem Grund. Hartungs Linien tanzen, sprühen auf, drängen, gekrümmt, gegen ein Gewirr aus Geraden an.

Aquatinta-Arbeiten und Lithografien führt er schwarz oder in warmtönigem Braun aus, vergrößert später seine Formate enorm; Schabeisen bringen Verschattungen ein. Für seine Holzschnitte bearbeitet er, der Ungeduldige, das Material mit Hammer, Beil, prägt dem Holz vielfältige, auch unerwartet filigrane Muster ein. Wie Hartung zuletzt aus dem Rollstuhl mit Sprühpistolen zu Werke geht, zeigt eine Serie von Filmausschnitten.

Bis 10.10., Kupferstichkabinett, Matthäikirchplatz 8, Mitte, Telefon 266 42 42 01, Infos unter: www.smb.museum/kk

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal