Freiheit ist was anderes

Fernsehen, nicht nur im Sommer

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.

Im Sommer wirkt Fernsehen besonders blöd. Irgendwie entleert. Die Politiker sind im Urlaub und teilten den Zeitungen vorher mit, was sie in der Hängematte so alles lesen werden. Es wirkt aber weder gebildet noch locker, es wirkt nur wie ein verkrampfter Nachweis von Buchstabenkenntnis. Das ist die Tragik von Menschen, die zu oft im Fernsehen vorkommen.

Das Fernsehen ist, wie Hans Magnus Enzensberger schrieb, ein »Nullmedium« geworden. Der gesamte Betrieb hat es weitgehend geschafft, lediglich noch als Alternative ernstgenommen zu werden zum Drogenkonsum, von der Schlaftablette bis zum Heroin. »Fernsehen statt Chemie ist sicher die elegantere Lösung.«

Das ist aus einem öffentlich-rechtlichen Auftrag geworden: das Erlebnis totaler Gegenstandslosigkeit, auch wenn die Bilder nur so flirren. Sie flirren für die Quote, deren Messung inzwischen sogar die Nachrichtensendungen erfasst hat. Oder: Einen Film über Eichmann mit dem Untertitel »Liebe, Verrat, Tod« zu versehen, reicht zur Aberkennung sämtlich möglicher Unschuldsvermutungen. Oder: die ZDF-Sommerinterviews. Prototypen nahezu strafbarer Belanglosigkeit; die Frager sind kerbentief klischiert, und die Parteispitzenfunktionäre, Lächelautomaten allesamt, sprudeln Phrasen wie aus der Pistole geschossen. Alles dient einem Zuschauer, der mit dem Anschalten des Geräts sein Recht in Anspruch nimmt, abschalten zu dürfen.

Es ist aus mit dem Vertrauen in die rationale Mündigkeit des Bürgers. Vorbei ist die Faszination über die Möglichkeit, öffentliche Gesittung herzustellen. Ausgehöhlt die Hoffnung auf Souveränität eines Publikums, das von den Wirkungen der Aufklärung und den Freuden einer fortgesetzten Bildungs- und Urteilsfähigkeit überzeugt ist. Wer Politik im Fernsehen sieht, hat doch keine Erwartung mehr auf wirkliche Einsicht – ins komplexe Zusammenwirken von individuellen Beweggründen und gesellschaftlichem Stellungsspiel der Akteure. Was von Gesendetem soll denn noch geeignet sein, selbst bereitwilligste Zuschauer zu demokratieförderlicher Meinungssicherheit anzuregen? Was hält denn Seherschaft mobil für vernünftige Welt- und Zeitdeutungen, für ein Wahrheitsgefühl, das sich aus Widersprüchen speist?

Der Fernsehauftrag liegt nicht mehr im seriösen Erkennungsdienst. Dieser Auftrag hätte Teilnahme sein können an einem großen Entwurf von Politik, ganz im emphatischen Sinne Hannah Arendts: »Der Sinn von Politik ist Freiheit.« Freiheit in solcher Perspektive wäre eine Form des wirklichen Miteinander-Seins. Es ist die Grundlage jenes parlamentarischen repräsentativen Systems demokratischer Abläufe und Entscheidungen, das sowohl zivilisatorische Errungenschaft als auch immerwährende Aufgabe ist.

Aber politische Macht und Interessengruppierungen haben die Freiheit kommunikativen Handelns ausgehöhlt; beträchtliche Teile jener Politik, die geschieht, sind kontrollierenden, ausformenden Zugriffen entzogen. »Fugenlos«, hat Publizist Günter Gaus gesagt, »werden die Bedürfnisse des Kapitals inzwischen gleichgesetzt mit den Idealen der Demokratie«. Und ausgerechnet das Fernsehen wurde zu einem Motor dieser Entsittlichung des Öffentlichen.

Das Fernsehen arbeitet einem fatalen Zentralismus zu, der allerlei Undurchschaubarkeiten den Anstrich der Normalität gibt; unter dem offen wehenden Deckmantel freier Wahl und freier Meinung produziert es meist anspruchslose Stimmungslagen. Das ist jene Fern(bedienungs)steuerung, die letztlich anfällig macht für bestürzende Verhaltensweisen, die aus den Wohnzimmern wohl auch in die Gesellschaft dringen: Rückzüge in eine selbstgefällige Privatheit, auftrumpfend zynisches Bewusstsein oder anmaßendes Welturteil, das instinktsicher nur der eigenen Unbildung vertraut – unbehelligt vom Bedürfnis nach differenzierter Argumentation.

Das weltzerstückelnde Schalten und Walten des großen Mediums hat es längst geschafft, dass wir – wie der Dichter Botho Strauß es formuliert – Ideenflucht und leichten Wahn für unsere ganz normale Wahrnehmung halten. Alles Geschehen fällt sich fortwährend ins Wort, ins Bild. Öffentlichkeit, die Allesfressende, klettert »wie die Wanderratte durch die Leitungsrohre«. Ausgekippt werden Megatonnen von Vernunftabfall. Die Unterhaltungen irren dahin, sprunghaft und quer; voll fahriger Schnitte vollzieht sich die Treibjagd des Bunten gegen das Farbige. Das »Regime der telekratischen Öffentlichkeit«, so Strauß, sei die unblutigste Gewaltherrschaft und zugleich der umfassendste Totalitarismus: Es lasse keine Köpfe rollen, es mache diese überflüssig. Der Drill des Vorübergehenden kennt keine Feinde, Untertanen, sondern nur noch Mitwirkende.

Sie beherrscht uns, diese Kombination aus Unterhaltung und jener Selbsttäuschung, es werde Öffentlichkeit hergestellt, wo doch nur Oberfläche sichtbar gemacht wird. Längst wurden aus kantigen Politikern und Kulturgrößen, die einst noch mit Herzklopfen ein Fernsehstudio betraten, stromlinienförmige Beamte oder Zeitgeistler, die mit allen Wassern des rhetorischen Ausweichmanövers gewaschen sind. Heute steht ein TV-Termin als x-beliebiger Date zwischen »Frühstück mit BILD« und Autogrammstunde in einem Freizeitpark. Die politische Klasse ist elitär nur noch in ihrer Verweigerungshaltung gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Auftrag, kulturvoll und kulturbildend zu sein.

Fernsehanstalten. Weggesperrte in aller Öffentlichkeit – im Auftrag einer Öffentlichkeit, die für eine Sammlung Idioten gehalten wird. Jeder Redakteur, der Niveau auf Zwergengröße stampft und dessen Tagwerk im Präparieren des Stumpfsinns besteht, arbeitet unglücklich unfreiwillig mit am Traum, der ihn abschaffen will. Es ist der Traum von Sendern und Produktionsfirmen als Spielwiesen mit Unendlichkeitscharakter. Dann wäre eine Anstalt keine Anstalt mehr, und der Markt wäre ein Geräusch, das es zwar gibt, das aber nicht in jeden Schneideraum dringt. Unvorstellbar das. Fernsehen ohne den Geschmacksdarwinismus, mit dem heute jeder Unkünstler seinen Posten schützt. Jeder Redakteur beruft sich auf ein Publikum, das er nicht kennt, nimmt teil an der Drehung jener Spirale, die den Versimpelungsirrwitz höher und höher schraubt – und höchstens im sehr privaten Gespräch zuckt auch der richterliche Anstaltsvertreter oder Produzent die Schultern, und man schaut in graue Gesichter und sagt sich: Ja ja, Anpassung ist ein Menschenrecht, und die Verdummung ernährt ihre Leute nicht am schlechtesten.

Man stelle sich vor: Sender ohne Manager mit Quotenauftrag?! Ein Sender und seine Redaktionen, gespickt mit realitätserschöpften Lyrikern, platonischen Politikern, englisch gekleideten Historikern, unentschlossenen Gelehrten, anonymen Dichtern, alkoholgetränkten Regisseuren, entlaufenen Schullehrern, heiser gewordenen Tenören, kiffenden Anarchisten, verstört spillrigen Feuilletonisten, kurz: lauter Merkwürdigkeiten, bloße Käuze; Sender und Redaktionen als »Skurrilitätsgrotten« (Martin Walser), wo sich noch zeigen darf, »zu welchen schönen Blüten die menschliche Flora fähig ist, wenn sie nicht dem Leistungsprinzip unterworfen ist«, das den Geist tiefer und tiefer zieht.

Ein Sender als Marktenthobenheit? Das wäre kein Unternehmen, eher: eine Unternehmung, eine Expedition, die um den Bestand kämpfen müsste. Aber die Menschen dort, die den Ton angäben, kämen einem weniger gefährlich vor. Nur gefährdet. Die Gefährlichkeit der Jetztbestimmer ist die eines Beamtentums, das glaubt, auf Können verzichten zu müssen. Man genügt sich im Ton, der den seichten Ton angibt. Deshalb: Wer etwas kann, leidet. Wie immer. Aber beim Fernsehen besonders.

Das Fernsehen, weit davon entfernt, die Zuschauer auf die Höhen
der bürgerlichen Bildung zu heben (wie eine berühmte Formulierung
der deutschen Arbeiterbewegung lautete) oder ihnen auch nur die
Chance auf Teilhabe zu eröffnen, konkurriert mit den billigsten
Boulevardmedien um die niedrigsten Instinkte der dümmsten
Bevölkerungsteile.

Dem Publikum etwas vorzusetzen, was nicht ist, was es ist,
sondern nur das, was von dem erwartet wird, dass es gern
konsumiert wird, bedeutet eine Zuschauerverachtung, die sich ein
System nicht leisten kann, das von den Zuschauern finanziert wird.

JENS JESSEN (in »Die Zeit«, 29. Juli)

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