nd-aktuell.de / 05.08.2010 / Politik / Seite 8

Ein Baum führt fast zu Krieg

In Israel und Libanon liegen die Nerven blank

Karin Leukefeld
An der umstrittenen »Blauen Linie«, der Grenze zwischen Israel und Libanon, kam es am Dienstag zu einem stundenlangen Feuergefecht zwischen den Streitkräften beider Staaten. Der Vorfall ereignete sich bei Kafr Killa im Südosten Libanons, wo der Grenzverlauf um eine israelische Enklave umstritten ist.

Der jetzige Grenzverlauf wurde 2000 nach dem Rückzug Israels aus Südlibanon von den UNIFIL-Truppen festgelegt. Seit dem Ende des israelisch-libanesischen Krieges im Sommer 2006 war der Vorfall am Dienstag der folgenschwerste. Auf libanesischer Seite kamen bei dem Feuergefecht drei Soldaten und ein Journalist ums Leben, auf israelischer Seite ein Offizier.

Vorausgegangen waren nach Angaben der israelischen Armee »routinemäßige Wartungsarbeiten«. Bilder der Nachrichtenagentur Reuters zeigen, wie ein Soldat auf einer Hebebühne von einem Kran über den nördlichen der zwei Grenzzäune gehoben wird, die eine israelische Militärstraße einrahmen. Offenbar sollten jenseits des Zaunes Bäume gefällt werden, vermutlich um dem israelischen Militär freie Sicht nach Libanon zu verschaffen. Die nahe postierte libanesische Armee (LAF), die offenbar nicht über die »Wartungsarbeiten« informiert war, hatte die Israelis aufgefordert, die Aktivitäten einzustellen, was nicht geschah. Daraufhin feuerte die LAF, die Israelis schossen zurück.

Der Vorfall löste einen Sturm der Entrüstung in Libanon aus, wo die Nerven ohnehin wegen anhaltender israelischer Provokationen blank liegen. Fast täglich kommt es zu Überflügen israelischer Kampfjets, was die Waffenstillstandsresolution 1701 seit dem Krieg 2006 verbietet. Seit Anfang 2009 wurden mehr als 150 Personen eines israelischen Spionagenetzes festgenommen. In seltener Einheit stellten sich alle politischen Lager in Libanon hinter die Armee, die von Präsident Michel Suleiman beauftragt wurde, in Südlibanon »jeden Angriff gegen unser Territorium, gegen die Armee oder die Bevölkerung mit allen vorhandenen Mitteln abzuwehren«.

Die Hisbollah war an dem Vorfall nicht beteiligt, erklärte aber ihre Bereitschaft, jederzeit das Land zu verteidigen. Das sagte deren Vorsitzender Hassan Nasrallah in einer Rede zur Erinnerung an die Opfer des Krieges von 2006, der am 14. August vor vier Jahren zu Ende ging. Gleichzeitig kündigte Nasrallah Informationen an, wonach Israel Drahtzieher des Mordes an dem ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri war. Details werde er in der kommenden Woche vorlegen.

Der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak warnte derweil Libanon vor »weiteren Provokationen«. Israel wolle einen Vorstoß starten, um Frankreich und die USA davon abzubringen, die libanesische Armee weiter mit Waffen zu versorgen.

Inzwischen erklärte UNIFIL-Militärsprecher Oberstleutnant Naresh Bhatt, der umstrittene Baum und weitere Bäume in dem kleinen Tal südlich von Kafr Killa gehöre nach UNIFIL-Recherchen zu Israel, womit die Verantwortung für den tödlichen Schusswechsel offiziell Libanon übertragen und das Fällen der Bäume sanktioniert wurde. Während in Libanon am Mittwoch die Toten des Grenzgefechts beerdigt wurden, beendete die israelische Armee unter massivem Feuerschutz ihre »Wartungsarbeiten« und fällte Bäume.