Hat Jürgen eine schrille Stimme?

Gefährlichkeit von Hunden ist nicht immer an Beißfreudigkeit festzumachen

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 2 Min.

Wann ist ein Hund ein gefährlicher Hund? Für eine Reisende, eine Bahn-Mitarbeiterin und zwei Beamte der Bundespolizei, die sich vor einigen Tagen gegen 21.45 Uhr auf dem Bahnhof Ostkreuz aufhielten, war ein nicht angeleinter Mischlingshund, der seinem alkoholisierten Besitzer bisskräftige Unterstützung gab, ohne Zweifel ein gefährlicher Hund.

Das Tier hatte sich regelrecht zu einer Beißorgie hinreißen lassen und es dabei besonders auf die Waden der Opfer abgesehen. Der Besitzer muss nun damit rechnen, dass ihm das Hundehaltungsrecht entzogen wird. Ob ein Hund als gefährlich eingestuft wird oder nicht, hängt aber nicht nur von der Beißfreudigkeit des Vierbeiners ab, sondern davon, ob das Tier nach dem »Berliner Gesetz über das Halten und Führen von Hunden« als gefährlich eingestuft wird. Nach diesem Gesetz dürfen gefährliche Hunde nur von Personen geführt werden, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und über die erforderliche Sachkunde und Zuverlässigkeit verfügen.

Das Schicksal, als gefährlich eingestuft zu werden, ereilte jüngst dem Hund Jürgen, eigentlich ein recht friedfertiges Tier, wie die Hundehalterein aus Tempelhof-Schöneberg in tiefster Überzeugung versicherte. Die Amtstierärzte des Bezirkes hatten Jürgen wegen seiner Widerristhöhe (Übergang von Hals zum Rücken bei Vierbeinern) von 42 Zentimetern als Bullterrier eingestuft, und diese Rasse gilt nach dem Hundegesetz als gefährlich. Dem widersprach die Halterin und zog vor Gericht. Sie legte ein selbst in Auftrag gegebenes Rassegutachten vor. Danach handele es sich bei Jürgen um einen Mini-Bullterrier, und Minis stünden nicht auf der Liste der bösen Hunde. Somit sei das Verbot der Amtstierärzte zur Haltung von Jürgen rechtswidrig.

Dieser Argumentation folgten die Verwaltungsrichter nicht und bestätigten zunächst das Verbot. Nun muss eine Hauptverhandlung in der Sache entscheiden. Und da werden dann weitere Kriterien herangezogen, um Klarheit zu schaffen, ob es sich um einen Zwerg unter den Bullterriern oder um einen ausgewachsenen Artgenossen handelt. Ein Mini müsse nach dem Gesetz eine geringere Knochenstärke und -substanz, eine etwas schrillere Stimme, kleineren Körperbau und kleinere Pfoten aufweisen, erklärten die Verwaltungsrichter. Bis ein endgültiges Urteil gefällt ist, habe der Schutz der Allgemeinheit vor einer potenziellen Gefährdung Vorrang gegenüber der Beeinträchtigung der Hundehalterin und ihres Jürgen.

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