Narziss im Goldland

Der »Tatsachenbericht« des Datendiebes Kieber: Eine Hofgeschichte aus Europas letzter echter Monarchie – Liechtenstein

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 8 Min.
Seit Heinrich Kieber Daten des Liechtenstein General Trust an den BND übergab, ist er zu Hause der Staatsfeind Nummer eins. Auf 650 Seiten berichtet er nun im Internet, wie alles so weit gekommen ist.

Der Popmusiker Jan Delay warnt vor den »Kirchturmkandidaten«: »Ihr habt sie betrogen / jetzt stehen sie da oben«, dichtet er über all jene, die sich in die Enge getrieben fühlen und die jetzt »zurückschlagen«, subjektiv und ungerecht. Die musikalischen Vorlieben von Heinrich Kieber sind unbekannt, doch das Lied ist wie ein Soundtrack zu den 650 Seiten »Tatsachenbericht«, die der Liechtensteiner »Datendieb« vor gut einer Woche ins Internet gestellt hat – pünktlich zum Staatsfeiertag, den Liechtenstein letzten Samstag beging. Kandidat Kieber, so lässt sich der gigantische Wulst zusammenfassen, hat jahrelang auf dem Kirchturm balanciert. Und dann ist er gesprungen.

Falsche Pässe in der Staatskarosse

Kieber, 1965 in Liechtenstein geboren, ist der »Datendieb«, auf dessen »CD« hin – tatsächlich hatte er wohl Ende 2002 eine achtlos aufbewahrte Kassette eingesteckt – im Februar 2008 der damalige Postchef Klaus Zumwinkel verhaftet wurde. Er ist nicht zu verwechseln mit dem Erpresser Michael Freitag, der ebenfalls 2008 in Rostock vor Gericht stand. Dort ging es um Daten der Liechtensteiner Landesbank (LLB), die deren früherer Prokurist Roland Lampert entwendet hatte. Damit hat Kieber nichts zu tun; auch nicht mit den jüngst aufgetauchten CDs, die wohl auch auf die LLB zurückgehen. Kiebers Daten stammen vom »Liechtenstein General Trust« (LGT), der Treuhand der herrschenden Fürstenfamilie. Im Gegensatz zu Freitag verstand Kieber etwas von seinen Daten – und anders als Lampert, der sich in Liechtenstein bei einer amateurhaften Übergabe verhaften ließ, war er nie gierig. Freitag ist in Haft, Lampert soll in einer Art Sicherungsverwahrung stecken. Kieber aber ist im BND-Zeugenschutz, wohl als mehrfacher Millionär.

Wie aber ist das alles gekommen? Kiebers Buch steigt 1997 ein, er ist da 32 und hat gerade eine Viertelmillion Franken verliehen. Doch der Schuldner verbündet sich mit einem Ehepaar, das seinerseits auf eine offene Rechnung Kieber gegenüber pocht. Vereint locken sie ihn nach Argentinien, setzen ihn auf einer abgelegenen Farm fest, ketten ihn an, legen ihm Rechnungen vor. Kieber versucht, sich umzubringen, überlebt, kehrt zurück – und jetzt beginnt die eigentliche Geschichte.

Heinrich Kieber dürfte, wie die Liechtensteiner Filmer Sigvard Wohlwend und Sebastian Frommelt rekonstruiert haben, das betreffende Ehepaar tatsächlich übers Ohr gehauen haben, bei einem Wohnungsdeal in Barcelona. Die Filmer, die zwei Jahre über Kieber recherchiert haben, halten auch die Entführungsgeschichte für wahrscheinlich. Kieber jedenfalls, traumatisiert von der Entführung, will die »Folterer« vor Gericht sehen. Doch dieses glaubt letztlich kein Wort von den wüsten Schilderungen, Zeichnungen und sogar Tatort-Modellen, die er manisch produziert. Ein Richter spricht den »Verbrechern« sogar das Geld zu, um das Kieber sich erpresst fühlt.

In solchen Fällen wendet sich der Liechtensteiner an den Monarchen. So letztlich auch Kieber, mit immer mehr Nachdruck. Nachdem er, trotz eines offenen spanischen Haftbefehls wegen der Wohnungsgeschichte als Daten-Digitalisierer bei der LGT angestellt, die Stagnation in seiner »Sache« feststellt, stiehlt er eine Sicherungskopie aller Treuhand-Daten, die zum diesem Zeitpunkt gespeichert sind. Dann schreibt er an den Fürsten: Dieser möge für ein Strafverfahren gegen die beiden früheren Geschäftspartner sorgen. Kurz darauf, im Januar 2003, taucht Kieber für Monate in Deutschland und den Niederlanden unter.

Durch die Post ins Treuhandhaus

An den BND verkauft er die Daten erst Jahre später. Zunächst beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel mit Liechtenstein. Meist schreibt Kieber dazu in den Speicherordner eines E-Mail-Kontos, zu dem auch der Fürst und sein Krisenstab Zugang haben. Der Fürst ist – laut Kieber – zu vielem bereit. Er lässt sogar einen falschen Pass drucken und schickt ihn in seiner Diplomatenlimousine nach Berlin, um Kieber vor den Deutschen sicher nach Hause zu bringen. Doch Kieber ziert sich. Erst nachdem man ihm einen milden Prozess wegen der Daten zusichert und energische Hilfe bei der Verfolgung seiner Widersacher, kehrt er im Sommer 2003 zurück. Und vernichtet die Daten – nicht ohne geheime Kopie.

Für den Heimgekehrten, den die Burg für wahnsinnig hält, engagiert man 2003 einen Psychologen aus Wien. Man beschäftigt Kieber sogar mit einer »Denkschrift« über die »Tätertypen« bei Datendiebstählen. Er selbst sei der »B-Typ«, schreibt Kieber. Einer, dem es um eine »Sache« geht. Also macht keine leeren Versprechungen!

Trotzdem verurteilt man ihn zu vier Jahren wegen des Datendiebstahls und der Fürstenerpressung. Kieber tobt, und es kommt zu einem bizarren Revisionsprozess, bei dem die geschädigte LGT selbst dem »Datendieb« den Anwalt zahlt. Das Resultat: ein Jahr auf Bewährung. Später soll Kieber noch begnadigt werden, damit nichts in seinem Führungszeugnis steht und er im Ausland Arbeit findet, wie es der Fürst nun wünscht. Doch aus der Burg kommt nur eine Begnadigung zweiter Klasse: bestraft, aber ohne Registereintrag. Und dann teilt man ihm mit: Weitere Unterstützung in der »Argentiniensache« werde es nicht geben. Sein Fall sei längst schon »kalter Kaffee«. Vermutlich glaubte niemand, dass Kieber die Daten noch immer hatte.

Erst da, so Kieber, sei es passiert. Er holt die Daten aus seinem Versteck, probiert sie zunächst an einem »superseriösen deutschen Zeitungsverlag« aus, dessen begierige Investigatoren sich Bruchstücke merken können, die CD am Ende aber doch nicht bekommen. Stattdessen schickt Kieber seine erste Mail an den BND. Die »Datenneutronenbombe«, wie er sein Werk mit zunehmender Textdauer immer stolzer nennt, zündet einige Monate später. Und Kieber deliriert vor Genugtuung darüber, dass es genau am Valentinstag 2008 geschieht. Als sei auch dies sein Plan gewesen.

So weit die Geschichte des Heinrich Kieber. Lesenswert ist sie allemal – auch wenn der Text um zwei Drittel zu lang ist und er die dutzenden prominenten Namen, die er in seinen Akten gesehen haben will, aber in der Öffentlichkeit vermisst, selbst auch nicht nennt. Unklar bleibt auch, welcher »deutsche Anlagenbaukonzern« denn nun Schwarzgeldkunde sei.

Erhellend ist Kieber an ganz anderen Stellen. Er zeichnet ein wunderbares Sittenbild des Vaduz der Jahrtausendwende, als der Scheinkapitalismus blühte und die Millionen sprudelten. Plastische Bilder einer Stadt, deren Architektur schon ein Geständnis ist. Einer Stadt, in der »Bargeldkunden« nach Rücksprache nicht nur via Tiefgarage direkt in den Tresorbereich des LGT fahren können, sondern diese Garage ihrerseits durch einen Tunnel aus dem Post-Parkhaus anzusteuern ist – und man auch die Staatsanwaltschaft diskret aus dieser Katakombe erreichen kann. Einer Stadt, in der die mit »Bombenlöhnen« versorgten Fußtruppen des Schwarzgeldsystems gemütlich vor gediegenen Cafés sitzen und einander ungerührt vom Alpenpanorama mit ihren krassesten »Mandaten« übertrumpfen.

Nur manchmal, schreibt Kieber, hätte man sich doch erschreckt. Über die Väter, die ihre Töchter wegen eines schwarzen Freundes enterben. Oder die reichen, hartherzigen Leute, die noch ihren Todestag als hämische Abrechnung mit ihrer Familie zu inszenieren gedachten: In der Halbwelt des schwarzen Geldes fallen die moralischen Masken. Vor allem aber gehört zu diesem Bild, dass nichts von all dem jemals dingfest wird, obwohl es die Spatzen von den Dächern pfeifen.

Auch wenn Kieber behauptet, sich auf »Dokumente« und Lecks zu stützen, was in einer semi-absolutistischen Monarchie von 35 000 Seelen gut möglich ist: Man merkt dem Text an, dass sein Autor Übung im »Zurechtlegen« hat. Längst nicht alles, was Kieber schreibt, wird stimmen. Erkennbar aber nicht gelogen hat er bei seinen Motiven: Nicht nur, dass er so lange gewartet hat mit dem Verkauf, macht Geld als Motiv unwahrscheinlich. Vor allem kann man sich so viel verletzten Narzissmus, wie er sich durch dieses Pamphlet zieht, gar nicht ausdenken. Selbst wohl einigermaßen rücksichtslos, ist Kieber zutiefst beleidigt von dem Unrecht, das ihm widerfährt. So beleidigt, dass er verallgemeinert, am Ende müsse die ganze Welt untergehen, in der er sich doch gerne bewegte.

Kieber ist – wie er nicht schreibt – in einem Heim groß geworden, wenn auch unter besonderer Obhut der Alt-Fürstin Gina. Er will dazugehören und genießt die erpresste Nähe zum Landesherrn, die ihm sein Datenbesitz ermöglicht. Doch sobald dieser ihn verstößt, kennt er nur noch Rache – und sucht sich einen stärkeren Herrn. Den BND – oder den »US Senate«, den er stets englisch buchstabiert.

Weder Robin Hood noch James Bond

Nein, dies ist nicht die Geschichte von Robin Hood oder James Bond. Dies ist auch keine Geschichte von Landesverrat, Spionage oder sonstigen filmreifen Verbrechen. Was dem »absoluten« Bankgeheimnis in Europas letzter echter Monarchie letztendlich das Genick gebrochen hat, ist letztlich eine ganz klassische Hofgeschichte, ein höfisches Missverständnis – und als solche ist der »Tatsachenbericht« ein nostalgisches Erlebnis. Der Fürst behandelt den lästigen Kieber als Untertanen: Man muss ihm keine Versprechen halten, man gewährt, was nützt und gerade beliebt. Kieber aber sieht sich selbst, einmal geadelt durch die Aufmerksamkeit des Herrn nach seiner ersten Flucht, diesbezüglich durchaus als satisfaktionsfähig. Ein gedemütigter Narziss am Hofe zu Goldland: Das konnte nicht gut gehen.

Wie geht sie aus, die Kieber-Saga? Das Haus Liechtenstein hat schwere Zugeständnisse machen müssen. Weitergehen wird es trotzdem mit dem Finanzplatz in dem Völkerrechtssubjekt zwischen Feldkirch und Buchs. Die Liechtensteiner aber, die gerade ihren Nationalfeiertag begangen haben, wollen laut der örtlichen Tageszeitung »Vaterland« zu mehr als 60 Prozent das »Buch« nicht lesen.

Vielleicht haben trotzdem einige von ihnen an den Kieber denken müssen, wenn auf die Melodie von »God save the Queen« oder auch »Heil Dir im Siegerkranz« das Lied vom »jungen Rhein« angestimmt wurde. Das »Stern«-Interview von vergangener Woche war binnen Stunden ausverkauft im Ländle, und auch der Film von Wohlwend und Frommelt war im Frühjahr und Sommer ein riesiger Erfolg unter den Liechtensteinern – und wurde, wie die Schweizer »WOZ« registrierte, erstaunlicherweise ohne hasserfüllte Leserbriefe und ähnliche Begleitmusik aufgenommen. Es arbeite was im Staate Liechtenstein, schreiben die Züricher.

Kieber aber ist obenauf, auch wenn er offenbar ein großes Bedürfnis hat, sich den Liechtensteinern zu erklären. Einstweilen kann er sein Ego damit streicheln, mit den wirklich Mächtigen am Tische zu sitzen – und ihnen tatsächlich weiterhelfen zu können. Vielleicht sollte sich der BND Kiebers Wissen über Geldwaschtechniken und entsprechende Netzwerke vertraglich sichern. Vielleicht ist das auch längst geschehen.

Man müsste nur gut darauf achten, dass Kieber nie wieder auf einen Kirchturm gerät.

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