Schöner Schein im Zwergstaat

Co-Fürst Sarkozy stellt Andorra Persilschein aus und will im Zwist mit Brüssel vermitteln

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Andorra wird als Steueroase von Brüssel nach wie vor kritisch beäugt. Frankreichs Präsident Sarkozy sieht das anders.

Kurz bevor sich Staatspräsident Nicolas Sarkozy in die Ferien verabschiedete, die er an der Côte d’Azur in der Villa der Familie seiner Frau Carla Bruni verbringt, erfüllte er noch eine protokollarische Pflicht. Traditionell ist der Präsident Frankreichs »Co-Fürst« des Fürstentums Andorra in den Pyrenäen. Der andere »Co-Fürst« ist jeweils der Bischof der nahen spanischen Kleinstadt Urgell.

Es ist üblich, dass jeder französische Präsident einmal in seiner Amtszeit Andorra einen offiziellen Besuch abstattet. Doch während seine Vorgänger Charles de Gaulle, Valéry Giscard d’Estaing, François Mitterrand und Jacques Chirac dabei eine Rundreise durch alle sieben »Parroqis« (Kreise) des Landes unternahmen und der Bevölkerung ihre Reverenz erwiesen, begnügte sich Sarkozy mit einem dreistündigen Blitzbesuch in der Hauptstadt Andorra la Vella und einer Rede auf dem Marktplatz und im Parlament. Doch das repräsentiert kaum mehr als ein Drittel der 83 000 Einwohner des Zwergstaates, der mit 468 Quadratkilometern halb so groß ist wie Berlin. Schließlich sind wahlberechtigt nur die Staatsbürger Andorras, während sich ansonsten die Bevölkerung aus Spaniern und Portugiesen sowie einer französischen Minderheit zusammensetzt.

Mit Spannung wurde erwartet, was Nicolas Sarkozy über die Beziehungen Andorras zu Frankreich und zur Europäischen Union zu sagen hat. Noch im März 2009 hatte der Staatschef vor seiner Regierungspartei UMP in einer Rede zu wirtschafts-, finanz- und steuerpolitischen Fragen gedroht, sein Amt als »Co-Fürst« niederzulegen, wenn die Regierung Andorras nicht entschiedene Schritte unternimmt, um vom Schmuddelimage eines »Steuerparadieses« wegzukommen. Noch vor einigen Jahren hatte der Zwergstaat zusammen mit Liechtenstein und Monaco auf der »Schwarzen Liste« der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gestanden, weil Andorra jegliche Zusammenarbeit mit anderen Ländern bei der Verfolgung von Steuerflüchtlingen und der Identifizierung von Schwarzgeldkonten ablehnte. Nach einigen Zugeständnissen rückte das Land auf dem G20-Gipfel im Frühjahr 2009 in die »Graue Liste« auf. Um auch davon gestrichen zu werden, wie Sarkozy forderte, musste ein Land mindestens zwölf bilaterale Abkommen mit anderen Ländern über eine Kooperation in Steuerangelegenheiten schließen. Andorra brachte in Rekordzeit 19 solcher Abkommen zustande, hob im September 2009 auch noch teilweise das Bankgeheimnis auf und wurde daraufhin im Februar 2010 von der OECD in den Rang eines »kooperativen Partnerlandes« erhoben.

Doch diese Abkommen darf man nicht zu scharf unter die Lupe nehmen, denn neben jenen mit Frankreich, Spanien und Portugal wurden auch Abkommen mit den Faröer-Inseln und Grönland, vor allem jedoch mit Liechtenstein, Monaco, San Marino und anderen traditionellen Steueroasen geschlossen. »Das ist, als ob sich Gangster gegenseitig einen untadeligen Lebenswandel bescheinigen«, stellt ein Kommentator fest. Doch ins Detail wollte man beim Sarkozy-Besuch nicht gehen und beide Seiten beließen es beim schönen Schein. So konnte Jaume Bartumeu Cassany, der sozialdemokratische Regierungschef Andorras, erklären, dass sich »erfreulicherweise die Wolken über den Beziehungen zwischen dem Fürstentum und seinem französischen Co-Fürsten verzogen haben«. Mit der gleichen Scheinheiligkeit begrüßte Sarkozy in seiner Rede die »bemerkenswerten Anstrengungen und Fortschritte«, die Andorra auf diesem Gebiet erreicht habe. Gleichzeitig unterschied er ausdrücklich zwischen der »verwerflichen« Beihilfe zu Steuerflucht von Ausländern und der »durchaus legitimen« Politik niedriger Steuern im Fürstentum selbst. Weil es hier keine Mehrwertsteuer gibt, sind Schmuck, Uhren und andere Luxusgüter sowie Tabakwaren und Spirituosen erheblich billiger als in den Nachbarländern, was pro Jahr fast zwölf Millionen Besucher und Käufer vor allem aus Spanien, aber auch aus Frankreich anzieht.

Auf diesen Einkaufstourismus gründet sich der relative Wohlstand der Masse der Einwohner Andorras, die auch keine Einkommenssteuer zahlen müssen, während von den anonymen Nummernkunden betuchter Ausländer nur die Banken und deren Aktionäre profitierten. Doch nach dem Status als Steueroase steht inzwischen auch das Mehrwert- und Einkommenssteuer-Gefälle zwischen Andorra und den Nachbarländern am Pranger. Solche Unterschiede seien »nicht nur ungerechtfertigt, sondern auch ungerecht«, wurde kürzlich durch die EU-Kommission in Brüssel betont. Um in dieser Frage gar nicht erst die Verhängung von Sanktionen zu riskieren, hat die Regierung in Andorra la Vella kürzlich eine pauschale 10-prozentige Körperschaftssteuer für Unternehmen eingeführt und plant jetzt eine ebenso hohe Einkommenssteuer sowie eine Mehrwertsteuer von 4,5 Prozent. Sarkozy hat das bei seinem Besuch gelobt und gleichzeitig hat die Vermittlung Frankreichs bei der Normalisierung der Beziehungen mit Brüssel angeboten.

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