Chance für atomare Abrüstung nutzen

Heute beginnt in Basel der 19. Weltkongress der Ärztevereinigung IPPNW / ND-Gespräch mit der deutschen IPPNW-Vorsitzenden Angelika Claußen

  • Lesedauer: 4 Min.
Dr. med. Angelika Claußen ist niedergelassene Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in Bielefeld und seit 2005 Vorsitzende von »IPPNW - Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.«. Olaf Standke sprach mit ihr vor dem heute in Basel beginnenden 19. Weltkongress der Vereinigung.

ND: Der Weltkongress widmet sich ganz den Atomwaffen. Warum in diesem Jahr gerade dieser Schwerpunkt?
Claußen: Wir haben ja schon vor 13 Jahren zusammen mit IALANA, den Internationalen Juristen gegen Kernwaffen, und INESAP, einem wissenschaftlichen Netzwerk, eine Atomwaffen-Konvention vorgelegt, eine Art juristischen Vertrag für die nukleare Abrüstung. Die Zeit ist also reif und sie ist günstig, nachdem auch USA-Präsident Obama in seiner Prager Rede die Vision einer atomwaffenfreien Welt aufgegriffen hat. Deshalb wollen wir jetzt die Möglichkeit der Begegnung und Debatte für die verschiedenen Ebenen schaffen – von der Zivilbewegung und den Nichtregierungsorganisationen bis hin zur politischen und diplomatischen, sodass ein Dialog, ein Prozess in Gang kommen kann.

Sie hatten mit 50 Organisationen eine Kampagne gestartet: Die Bundesregierung sollte auf der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages im Mai verkünden, dass Deutschland endlich frei sei von US-amerikanischen Kernwaffen. Doch ist ein Ende dieser »nuklearen Teilhabe« noch immer nicht abzusehen.
Das ist leider wahr, und wir sind tief enttäuscht, dass nichts passiert ist, obwohl abgesehen von der CDU alle Parteien im Bundestag, auch die FDP und Außenminister Westerwelle, sagen, dass die in Deutschland gelagerten Atomwaffen der USA vollständig abgezogen werden sollten. Aber wir lassen nicht nach und werden weiter Druck machen. Aktuell fordern wir von Verteidigungsminister zu Guttenberg, diesen Bundestagsbeschluss in die Debatte um das neue strategische Konzept der NATO einzubringen.

Wo sehen Sie heute die größten Gefahren durch Kernwaffen?
Es ist gefährlich, dass der Abrüstungsprozess zwischen den USA und Russland noch nicht weiter fortgeschritten ist, weil damit auch kein gutes Beispiel gegeben wird für andere Staaten, erst gar nicht nach Atomwaffen zu streben. Auch in diesem Kontext wäre eine Initiative Deutschlands so wichtig. Ich sehe zudem ein großes Problem bei Israel. Israel hat Atomwaffen, ob es nun 50, 100 oder 200 sind. Wenn Iran überlegt, Atomwaffen zu bauen, dann weil Israel solche besitzt.

Und wie gefährlich schätzen Sie das Teheraner Atomprogramm ein?
Es ist vorwiegend ein Programm, um sich die Technologie anzueignen, die man für Atomreaktoren braucht. Aber es ist nun einmal so, dass man sich mit der sogenannten friedlichen Nutzung der Kernenergie auch die Technologie für die Entwicklung von Atomwaffen zulegt. Ich glaube allerdings nicht, dass Teheran schon die Fähigkeiten dazu hat. Ich schätze, dass es allein noch fünf Jahre oder länger dauern wird, bis Iran überhaupt genug angereichertes Material haben dürfte. Um so mehr sind jetzt direkte Verhandlungen mit der iranischen Regierung und eine Nichtangriffsgarantie notwendig.

Wäre denn die auf der Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag erneut aufgerufene atomwaffenfreie Zone in Nahost ein Schritt auf diesem Weg?
Das wäre ein ganz wichtiger Schritt. Die Idee stammt ja schon aus den 1970er Jahren, und leider ist bisher Israel der größte Verhinderer, wenn es um die Umsetzung geht. Ich meine, dass die USA einfach noch viel stärkeren Druck ausüben müssten, damit sich hier etwas bewegt.

Halten Sie einen Einsatz von Atomwaffen nach den verheerenden Erfahrungen von Hiroshima und Nagasaki überhaupt noch einmal für möglich?
Ich glaube, dass Regierungen unter großem Druck, wenn sie Stärke gegenüber anderen, aber auch gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung demonstrieren müssen, durchaus irrational handeln können, ob das nun Nordkorea, Iran, Pakistan oder Israel ist.

IPPNW hat gerade in einer Studie daraufhin gewiesen, dass die Gefahren radioaktiver Strahlung nach Hiroshima und Nagasaki drastisch unterschätzt wurden, dass die Langzeitfolgen eines Atomschlags, auch eines vermeintlich begrenzten, Politikern und Militärs offensichtlich nicht richtig bewusst sind.
Es gibt keine »saubere« Atombombe, auch keine »saubere« Minibombe. Und selbst wenn sie tief in der Erde gegen Bunker eingesetzt würde, radioaktives Material dringt nach oben, die Umgebung wird verstrahlt. Auch mit der neuen Generation von Kernwaffen ist die radioaktive Bedrohung weit über den Einsatzort hinaus nicht geringer geworden.

Wie könnte ein realistischer Zeitplan für eine atomwaffenfreie Welt aussehen?
Wenn die Regierungen, allen voran die der USA und Russlands, entscheiden würden, umgehend in einen umfassenden Abrüstungsprozess einzusteigen, wenn sie rasch ernsthafte Verhandlungen über eine rechtsverbindliche Nuklearwaffen-Konvention aufnehmen würden – selbst dann würde es mindestens noch 20, 30 Jahre dauern. Erste Gespräche zwischen Kernwaffenstaaten über eine solche Konvention finden Mitte September in der Schweiz beim Treffen der Middle Powers Initiative statt. Wir wollen, dass die Bundesregierung auch von dort aufgerufen wird, die Konvention zu unterstützen. Es geht um ein komplexes Problem einschließlich komplizierter Verifikationsmaßnahmen, um sich vor »nuklearem Betrug« zu schützen. Wobei unser bis ins Detail ausgearbeiteter Vorschlag für eine derartige Konvention nur aufgenommen werden müsste. Wenn man bedenkt, dass es Atombomben jetzt seit 65 Jahren gibt, dann ist die Zeit reif, diese menschenverachtenden Waffen in Rente zu schicken.

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