Platzeck für DDR-Strophe in Nationalhymne

Brandenburgs Ministerpräsident lässt sich Jubel über die deutsche Einheit nicht verordnen

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.
Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) will sich den Mund nicht verbieten lassen. Nach harter Kritik an seinen Äußerungen zum Stand der deutschen Einheit hat er gestern nachgelegt: Bei aller Freude über die Wiedervereinigung müsse es erlaubt sein, bestimmte Dinge in ihrem Verlauf kritisch zu sehen.

»Ich habe mir zu DDR-Zeiten nicht den Jubel verordnen lassen, und das tue ich heute auch nicht«, sagte Platzeck. Das Echo auf seine Äußerungen habe ihn nicht gewundert. Wenn nachdenkliche Anmerkungen »schon Gotteslästerung sind, dann ist etwas nicht in Ordnung«, ergänzte er. Seine Gedanken habe er auf die Frage von Journalisten geäußert. »Ich wurde von ihnen gefragt, was ich kritisch sehe.« Den Vorwurf, er habe mit dem Wort »Anschluss« Nazi-Jargon übernommen, nannte er »Quatsch«. Er erinnerte daran, dass die Bürgerbewegungen in der DDR einst einheitlich den Beitritt nach Artikel 23 unter dem Motto abgelehnt hatten: »Kein Anschluss unter dieser Nummer.«

»Wir sollten in der politischen Diskussion auf Vergleiche mit der Nazizeit verzichten«, hatte der Theologe Richard Schröder, seinerzeit SPD-Fraktionschef in der letzten DDR-Volkskammer, gefordert. Er fügte hinzu, der Vergleich des Beitritts der DDR zur BRD mit dem Anschluss Österreichs 1938 an Nazi-Deutschland sei »schon 1990 vollkommen abwegig« gewesen. Davon war allerdings in dem »Spiegel«-Interview Platzecks, auf das sich die Aufregung bezieht, mit keiner Silbe die Rede gewesen. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe verlangte gestern dennoch, Platzeck müsse sich »schleunigst korrigieren«. Es sei beschämend, wenn sich der einstige Bürgerrechtler Platzeck die »krude Geschichtsklitterung« der LINKEN zu eigen mache. Brandenburgs Grünen-Landeschefin Annalena Baerbock warf dem Ministerpräsidenten vor, die Emotionen zwischen Ost und West auf Stammtischniveau zu schüren.

Platzeck lässt sich aber nicht einschüchtern. Schließlich sei es Tatsache, dass ein Teil der Menschen noch nicht »mit Hirn und Herz« im vereinten Deutschland angekommen sind. Über die Ursachen müsse man reden können. Die Politik hätte sich Gesten leisten müssen, die den Eindruck vermittelt hätten, »dass wir nicht einfach nur blöd waren«. Viele sinnvolle Elemente des Lebens in der DDR wie die umfassende Kindertagesbetreuung, die Ganztagsschulen oder die Polikliniken seien unnötigerweise abgewickelt worden. Das habe die negative Stimmung im Osten verstärkt. Wäre dagegen die Politik »von Mut und Weitsicht« geleitet gewesen, dann hätte sie für den Eindruck bei den Menschen gesorgt, beim Übernommenen »ist auch von mir was dabei«, so Platzeck. Eine solche Geste wäre die Übernahme der ersten Strophe der DDR-Hymne in die bundesdeutsche Hymne gewesen, fügte er hinzu. Das sei »ein wunderbarer Text« gewesen und schließlich habe die DDR das Singen dieses Liedes in ihren letzten 20 Jahren auch verboten. »Aber selbst zu solch kleinen Gesten war man nicht bereit.« Das lasse sich im übrigen noch nachholen.

Platzeck bestritt, dass er erst im Zuge der rot-roten Koalition in Brandenburg eine neue Sicht auf die Vergangenheit gewonnen habe. Was ihm heute vorgehalten werde, habe er nicht minder deutlich im Wahlkampf vor anderthalb Jahren gesagt. Die LINKE stellte sich hinter Platzecks Äußerungen. Die empörte FDP will in der kommenden Woche Platzecks Aussagen im Landtag thematisieren.

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