Vom Affengeist

Uncle Boonmee erinnert sich ...

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.
Boonmee (Thanapat Saisaymar)
Boonmee (Thanapat Saisaymar)

Ich glaube«, hat Regisseur Apichatpong Weerasethakul gesagt, »an Seelenwanderungen zwischen Menschen, Pflanzen, Tieren und Geistern.« Und nannte die Auszeichnung seines fünften Spielfilms mit der Goldenen Palme folgerichtig eine surreale Erfahrung. Schon mehrfach ist er preisgekrönt worden für seine autobiografisch inspirierten Filme über Ärzte (wie seine Eltern), glutäugige Monster, die zwischen Dschungelpflanzen lauern (wie im thailändischen Fernsehen seiner Jugend), über Homosexualität und Familienbande, politische Gewalt und die fließenden Übergänge zwischen Leben und Tod.

Ein nierenkranker Farmer aus dem Nordosten Thailands bittet Schwägerin und Neffen zu sich aufs Land, um ihm in seinen letzten Tagen beizustehen. Ein Immigrant aus dem nahen Laos leistet Pflegerdienste, und ungebeten (aber nicht unerwünscht) gesellen sich der Geist der verstorbenen Frau des Farmers und sein zum Affenmenschen mutierter, wenige Jahre nach dem Tod der Mutter verschwundener Sohn dazu. Mit der Fotokamera seines Vaters bewaffnet hatte der einst den Wald erkunden wollen, hatte dort ein Foto gemacht von einem Wesen, das er nicht identifizieren konnte, und war diesem Wesen auf immer unwegsameren Pfaden in den Dschungel nachgestiegen. Bis es sich als Affengeist entpuppte und die Kopulation mit diesem Affengeist aus ihm einen Affenmenschen machte. Es sei die Kultur der Khmer, die in seiner Heimatgegend noch lebendig ist, hat der Regisseur erklärt, wo Animismus und der Glaube an Reinkarnation verbreitet sind.

Es geht alles sehr friedlich zu in diesem Film, während der Farmer sich auf den Tod vorbereitet und seinen Nachlass ordnet. Ob der Pfleger mit dem laotischen Dialekt nicht illegal im Land sei, will seine Schwägerin wissen, und ob ihm das nicht Angst mache, weil der es vielleicht bloß auf seine Reichtümer abgesehen habe. Keine Sorge, entgegnet der Farmer, die Laoten sind arbeitsam, seine Farmarbeiter hätten ihm sogar schon ein paar Brocken Französisch beigebracht. Und überhaupt: Welche Reichtümer? Was er der Schwägerin vererben möchte, sein Land, seine Bienen, seine Tamarindenbäume, hat für die Städterin ohnehin keinen Wert. Hier leben, fragt sie zurück? Niemals. Ihrer verstorbenen Schwester neidet sie deren ewige Jugend, denn wer mit 42 stirbt, der sieht auch bei seiner unerwarteten Materialisierung am Abendbrottisch 19 Jahre später noch aus wie 42. Und zeigt ihr dann höflich das Familienalbum mit den Fotos von ihrer Beerdigung.

Dass der Farmer seine Krankheit auf sein schlechtes Karma und das schlechte Karma darauf zurückführt, dass er vor Jahren auf Befehl der Armee so viele Kommunisten gejagt und getötet habe, die sich in den umliegenden Wäldern versteckten, ist nach zwei Dritteln des Films der erste Hinweis darauf, dass in der Gegend um Nabua nicht immer alles so friedlich zuging. In den Sechzigern war Nabua Kriegsgebiet zwischen den Regierungstruppen und einer vermuteten kommunistischen Infiltrierung, und die Dorfbevölkerung zwischen den Fronten aufgerieben worden. Die Schwägerin wiegelt ab, das habe er doch in der besten Absicht getan, genau wie ihr Vater, der auch ein großer Kommunistenkiller war. Onkel Boonmee aber erinnert sich in einer stummfilmfarbenen, wie handkoloriert wirkenden Sequenz an sein früheres Leben als hässliche Prinzessin, die mit einem Fisch ihr irdisches Glück findet – und ihr Grab.

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