nd-aktuell.de / 30.09.2010 / Politik / Seite 8

Ed Miliband begräbt »New Labour«

Der neue Chef der britischen Opposition sucht noch seinen Kurs

Ian King, London
Bis zum gestrigen Abend sollte David Miliband erklären, ob er einem Schattenkabinett unter Führung seines jüngeren Bruders Ed beitritt. Der neue Labour-Chef hat auf dem Parteitag in Manchester die Mitglieder auf einen Politikwechsel eingeschworen und der konservativ-liberalen Regierung den Kampf angesagt.

»Wir sind eine neue Generation, wir sind Optimisten«, verkündete Labours 40-jähriger Chef Ed Miliband auf dem Parteitag in Manchester. Man habe in der Regierung Großartiges geleistet: einen langen wirtschaftlichen Aufstieg, Mindestlöhne, den nordirischen Friedensprozess, Parlamente für Schottland und Wales. Aber Labour habe auch die Bodenhaftung verloren, aus Angst vor Terroristen Bürgerrechte untergraben, einer falschen Deregulierungspolitik gehuldigt, den Bankiers zu sehr vertraut. Vor allem der Irak-Krieg sei ein Riesenfehler gewesen, so Ed Miliband. Jetzt tue Demut not. »Aber wenn wir aus Fehlern und Wahlniederlage lernen, kommen wir wieder – schneller, als der rechten Koalition lieb ist.«

Der neue Oppositionsführer, der in Manchester Britannien als Heimstatt seiner jüdischen Eltern in den 1940er Jahren lobte, hat's nicht einfach. Ein von der Partei brüskierter älterer Bruder David, der nicht einmal weiß, ob er für das Schattenkabinett kandidiert, ist nur der Anfang. Weit gefährlicher sind die Wähler, von denen die Mehrheit laut einer »Times«-Umfrage den erfahrenen ehemaligen Außenminister als durchsetzungsfähiger und wirtschaftlich kompetenter einschätzen. Seit dem Erdrutschsieg 1997 hat »New Labour« fünf Millionen Stimmen verloren, doch es genügt nicht, den Abspenstigen nachzutrauern oder sie gar zu beschimpfen. Zudem: Neue Regierungen genießen normalerweise eine Schonfrist, die sich über zwei Legislaturperioden erstrecken kann. Eine positive Nachricht gibt es aber auch: Seit Ed Milibands hauchdünnem innerparteilichen Sieg liegt die Opposition in einer Umfrage mit 40 zu 39 Prozent in Führung, zum ersten Mal seit Herbst 2007. Doch besagt diese Momentaufnahme über vier Jahre vor der nächsten Parlamentswahl wenig.

Deutlich hat der neue Labour-Chef jetzt mit Tony Blair und Gordon Brown abgerechnet. Mit der Beschwörung von sozialer Gerechtigkeit will der bisher wenig bekannte Politiker sich und die Partei neu positionieren, aber schon in der politischen Mitte. Miliband will kein Geschöpf militanter Gewerkschaftsführer wie der linke Eisenbahnerchef Bob Crow sein, kein bedingungsloser Anhänger von politisch motivierten Streiks, die gegen die Regierung gerichtet sind, aber vor allem die breite Öffentlichkeit treffen. Ist das etwa der »rote Ed«, wie von der konservativen Generalsekretärin Sayeeda Warsi und der gehorsamen Tory-Presse beschworen? Ein Witz. Hier steht vielmehr einer, der einen Spagat versucht. Der die Koordinaten der politischen Mitte nach links verschieben möchte, wie sie zu ihrer Zeit Margaret Thatcher nach rechts verschoben hat. Der gewinnen will, und es trotz widriger Umstände vielleicht auch kann.

In der Parteitagshalle klatschten die Delegierten begeistert. David Miliband lobte den Bruder als Politiker mit Grundsätzen, Ex-Finanzminister Alistair Darling genoss die »starke Rede«. Brendan Barber, Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbands TUC, und Dave Prentis von der mitgliederstarken Gewerkschaft Unison, die viele schlecht bezahlte Mitarbeiter im öffentlichen Dienst vertritt, freuten sich über die Skepsis des neuen Labour-Chefs gegenüber flexiblen Märkten und sein Versprechen, die Rechte von Leiharbeitern schützen zu wollen. Sogar Richard Lambert vom Arbeitgeberverband CBI fand Lobenswertes in Milibands Erkenntnis, man dürfe den Wohlstand nicht nur verteilen, sondern müsse ihn erst einmal schaffen.

Noch müssen die Konturen von Milibands Politik eindeutiger werden. In Manchester wollte der Autor von Labours »Manifest 2010« erst einmal aus dem rauchigen Hinterzimmer hinaustreten. Partei und Wähler fangen an, den Neuen kennenzulernen, der einen Trennungsstrich unter die Vergangenheit, vor allem von Blairs Kriegen, ziehen will. Kein schlechter Anfang.