nd-aktuell.de / 05.10.2010 / Kultur / Seite 34

Schwabes dunkle Seite

DER SPION AUS DEM SCHWARZWALD

Helmut Müller-Enbergs

Schwabe«, der »Spion, der aus dem Schwarzwald kam«, glaubt, dass es im November 1957 war, als alles begann. Er will in Leipzig studieren. Im Prorektorat der Universität wird er gefragt: »Natürlich kannst du hier studieren, Genosse … Aber wieso studierst du nicht im Westen? Die Partei könnte dich unterstützen.« Nach den Stasi-Unterlagen ist es im März 1957 gewesen, als »der Mann, der aussieht wie Gert Fröbe«, den 22-Jährigen anwirbt. Und dieser hieß auch nicht Roland, wie in den Erinnerungen von Walter Wangler, sondern Harry Herrmann und arbeitete für die HV A V, war also zuständig für Wirtschaftspolitik. Schon damals kein kleines Licht in der Zunft.

Die folgenden Jahre in Wanglers Leben gestalten sich getreu einem nachrichtendienstlichen Regiebuch. »Schwabe« setzt sein Studium in Wilhelmshaven fort, besucht in Abständen seinen Führungsoffizier in Ost-Berlin, wird ausgebildet in Funk und Fototechnik und übermittelt in regelmäßigen Abständen allgemeine Stimmungsberichte aus dem Westen in den Osten. »An die dunkle Seite meiner Existenz wurde ich in Wilhelmshaven immer dann erinnert, wenn ich mein Zimmer im Hochschuldorf in eine Dunkelkammer verwandelte. Ich war genötigt, den Hobbyfotografen zu mimen, der seine Bilder selber entwickelt.«

Nach Studiumabschluss wechselt Wangler 1961 nach Göttingen, um zu promovieren. »Gegenüber den Genossen in Ostberlin stellte ich mich tot.« Deren Interesse wird jedoch angehalten haben, denn »Schwabe« tritt der »Agrosozialen Gesellschaft« bei, die eng mit dem Bundesministerium für Landwirtschaft kooperiert. Nachrichtendienstlich zwar für die HV A kein Lotto-Gewinn, aber immerhin. Zum nunmehrigen Göttinger wird Kontakt gehalten. Doch »Schwabes« Interesse erlahmt, als er in den Hochschulbetrieb einsteigt und Professor für Sozialpolitik in Düsseldorf wird. Die HV A schliesst seine Akten am 25. Mai 1971. »Natürlich bestand die Gefahr, dass mich meine Ostberliner Genossen, von denen ich schon fünf Jahre nichts mehr gehört hatte, auf befreundetem ›Terrain‹ wieder kontaktieren würden«, schreibt er. Aber niemand sprach ihn an während seiner Aufenthalte im »Ostblock«. Die Sache scheint vergessen – bis »Schwabe« dann am 19. März 1980 nach einer Vorlesung über Sozialpolitik in seinem Büro an der Fachhochschule in Düsseldorf verhaftet wird. Aufgeflogen ist er durch den Übertritt des MfS-Offiziers Werner Stiller, in dessen Unterlagen Hinweise auf »Schwabe« enthalten waren.

So unbedeutend Wangler sich als Agent bis dahin in seiner Biografie gibt, destso höher veranschlagt er seinen Wert dannach: »Mein Konterfei wird Markus Wolf früher auch einmal unter die Augen gekommen sein ... Bei aller Bescheidenheit: irgendwann wird meine Akte schon auf seinem Schreibtisch gelegen haben.« Wangler ist 45 Tage in Untersuchungshaft, dann kann er gehen, da seine nachrichtendienstliche Tätigkeit längst verjährt ist. Im Rückblick geht er mit sich ins Gericht, vermerkt, dass er mit mehr Selstbewusstsein und Tapferkeit damals in Leipzig die »Überrumpelung« durchs MfS hätte abwehren sollen.

Walter Wangler: Deckname »Schwabe«. Der Spion, der aus dem Schwarzwald kam. Pahl-Rugenstein. 268 S., br., 19,90 €.