Fakten auf den Tisch!

  • Winfried Wolf
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Politologe schrieb 1995 das Buch »Stutt- gart 21 – Hauptbahnhof im Untergrund?« ND-
Der Politologe schrieb 1995 das Buch »Stutt- gart 21 – Hauptbahnhof im Untergrund?« ND-

Heiner Geißler verkündete bei seiner ersten Pressekonferenz im Stuttgarter Hauptbahnhof, er habe vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Mappus die Zusicherung, dass es während der Schlichtungsgespräche einen Bau-und Vergabestopp geben werde. Jetzt gelte die Devise: Alles muss auf den Tisch – alle Argumente, alle Fakten, alle Zahlen.

Genau das darf aus Sicht der Bau- und Beton-Mafia vor Ort nicht passieren. Deshalb musste Mappus wortbrüchig werden. Das wurde nach Art eines Politbüros durchgestellt: Es gab deutliche Signale aus dem Kanzleramt. Frau Merkel hatte bereits in der Haushaltsdebatte am 15. September erklärt, das Plebiszit zu Stuttgart 21 finde am 27. März 2011 bei den Landtagswahlen statt (also dann, wenn alle Bäume gefällt sind und der Südflügel des Bonatz-Baus abgerissen ist). Aus einem Grube, der zuhören kann, wurde ein Bahnchef, der komplett auf Krawall gebürstet ist. Wer die Fakten scheuen muss, greift zur Repression. Mal, wie am 30. September, in offener Form – mit 400 verletzten Demonstranten durch die Gewaltakte des schwarzen Polizei-Blocks. Mal in subtiler Form: Im Stuttgarter Raum forderten in den letzten Tagen mehrere öffentliche und private Arbeitgeber von ihren Beschäftigten ultimativ, keine Anti-S21-Buttons – auch nicht den Anstecker »Oben bleiben!« – mehr zu tragen. Anderenfalls könne das arbeitsrechtliche Konsequenzen haben.

Das Projekt S21 wird von der Stuttgarter Bevölkerung zu Recht als Kriegserklärung gesehen – Krieg gegen Stadtstruktur, Schlosspark und das Wahrzeichen Bonatz-Bau. Ein Weiterbau an S21 während der Schlichtung ist schlechterdings unmöglich. Dennoch sollten die S21-Gegnerinnen und -Gegner so weit wie möglich gehen, um die Obstruktionspolitik der S21-Befürworter zu unterlaufen. Diese benötigen das Scheitern der Schlichtung. Sie müssen die Fakten fürchten wie der Teufel das Weihwasser.

Umgekehrt gilt: Die Fakten sind unsere Stärke. Seit 16 Jahren versuchen die S21-Befürworter, die Tatsachen, die gegen S21 sprechen, zu unterdrücken. Das Betriebsprogramm für den Untergrund-Hauptbahnhof belegt: gebaut wird ein Nadelöhr. Die Neubaustrecke Wendlingen – Ulm ist für alle ICE-1, für alle ICE-2 und für alle herkömmlichen Güterzüge nicht befahrbar (weil zu steil). Das ist beweisbar, aber öffentlich kaum bekannt. Die Alternativen zu Stuttgart 21 kosten rund ein Fünftel von S21 und neuer Bolzstrecke über die Schwäbische Alb – mit vielen Details belegbar, aber nirgendwo wirklich öffentlich debattiert. Es gibt eine Spätzle-Connection von Betonmafia mit dem Tunnelbauer Herrenknecht, dem Strabag-Baukonzern, dem Ex-Ministerpräsidenten Späth, dem Stuttgarter OB Schuster, dem Otto-Konzern und dem S21-Architekten Ingenhoven. Im Detail beweisbar und erst seit ein paar Tagen dokumentiert. Kurz: S21 ist kein Verkehrsprojekt. Es handelt sich um Grundstücksspekulation und persönliche Bereicherung.

Es muss alles getan werden, dass all diese Fakten in der Öffentlichkeit ausgebreitet werden. Dabei wird klar werden, dass S21 ein Muster für die gesamte kapitalistische Ökonomie und für den bundesweiten korruptiven Sumpf ist. Und dass »Oben bleiben« im Ländle allen im Land Mut macht, den aufrechten Gang zu gehen.

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