nd-aktuell.de / 18.10.2010 / Kultur / Seite 16

Düstere Vision

Neues Buch von Hamed Abdel-Samad

Aert van Riel

Der Islam sei weder auf dem Vormarsch noch besonders mächtig. Vielmehr seien islamische Gesellschaften unfähig, sich zu erneuern und deswegen dem Untergang geweiht. Diese düstere Prognose stellt der deutsch-ägyptische Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad in seinem Buch »Der Untergang der islamischen Welt«. Der Sohn eines sunnitischen Imams war einst ein strenggläubiger Muslim, bis er in den 1990er Jahren während seines Studiums vom ägyptischen Kairo an die Universität Augsburg wechselte. Nun sei er vom Glauben zum Wissen konvertiert, schreibt Abdel-Samad.

Sein Wissen basiert auch auf eigenen Erfahrungen, die er als Belege für die »muslimische Rückständigkeit« in seine Analyse einflechtet. Abdel-Samad beschreibt menschenverachtende Handlungen, die auch kulturell und religiös begründet werden, wie etwa Klitorisbeschneidungen bei Mädchen und die Zwangsverheiratung von Minderjährigen. Zwar in einigen islamischen Ländern gesetzlich verboten, leiden unter diesen Missständen trotzdem noch immer viele Millionen Frauen und Mädchen. Aber sind sie auch bezeichnend für die Mehrheit der muslimischen Gesellschaften? Der provokative Titel lässt zunächst Verallgemeinerungen über die Lebenswelt von etwa 1,4 Milliarden Muslimen befürchten. Abdel-Samad nimmt jedoch immerhin grobe Differenzierungen vor. So gebe es in der Türkei, Indonesien und Malaysia zumindest demokratische Ansätze. Diese Länder hätten aber nur einen geringen Einfluss auf den Rest der islamischen Welt. Prägend wirke dagegen der arabische Raum, der deswegen in den Fokus seiner Untersuchung rückt.

In einem kurzen historischen Abriss erklärt Abdel-Samad, dass es im Mittelalter besser um den Islam stand, als es noch zum kulturellen Austausch mit Juden und Christen kam. In seiner Blütezeit war der Islam den Europäern zudem in nahezu allen Bereichen des Wissens überlegen. Dies hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Einen Wendepunkt in der Geschichte der muslimischen Länder sieht Abdel-Samad in der Zerstörung der liberalen Stadt Bagdad durch die Mongolen 1258. Zahlreiche arabische Intellektuelle und Handwerker wurden verschleppt oder ermordet. Viele Muslime glaubten, Bagdads Niederlage stünde im Zusammenhang mit seiner Entfernung von islamischen Werten. Auch deswegen werde seitdem freiheitliches Denken in der Region unterdrückt.

Kaum eine Innovation komme heute noch aus einem islamischen Land. Schuld an den Problemen der Gegenwart wären vor allem Christen und Juden, Kolonialismus und Zionismus. Dieses Geschichtsbild wird zumindest in manchen ägyptischen Schulbüchern vermittelt, wie Abdel-Samad herausgefunden hat. Von anderen Kulturkreisen abgeschottet, werde eine Islamisierung – die Rückbesinnung auf das islamische Recht, die Scharia, und alte Traditionen – forciert. Abdel-Samad hat als Zeichen der Schwäche und eines fehlenden Selbstbewusstseins ein ständiges Beleidigtsein der Muslime ausgemacht, wenn jemand ihre Religion kritisiert. Gewaltsame Reaktionen wie etwa auf die Mohammed-Karikaturen von Kurt Westergaard in einer dänischen Zeitung im Jahr 2006 wertet er als nervöse Reaktionen einer sich auf dem Rückzug befindenden Kultur.

Wie genau der prognostizierte Untergang des Islam als politische und gesellschaftliche Idee aussehen wird, beschreibt Abdel-Samad nicht. Der Politikwissenschaftler zeigt aber erhebliches Konfliktpotenzial in islamischen Ländern auf, das sich verschärfen und zum Zerfall dieser Staaten führen könnte. Despoten in der arabischen Welt, wie beispielsweise in Saudi-Arabien und Ägypten unterhalten nämlich einerseits enge wirtschaftliche Beziehungen zu den USA, neigen aber ihrer Bevölkerung gegenüber zur antiwestlichen Rhetorik. Dieser Widerspruch bilde mit zur Neige gehendem Öl und Wasser, einer wachsenden ungebildeten Bevölkerung sowie (Bürger-)Kriegen (Sudan, Irak, Somalia) und Folgen des Klimawandels zusammen eine explosive Mischung.

Obwohl keine wissenschaftliche Untersuchung, macht diese politische Analyse zweifellos die Stärke des Buches aus. Ob die beschriebenen Entwicklungen letztlich tatsächlich zum Untergang des Morgenlandes führen, sei dahingestellt. Grund zum Optimismus geben sie jedenfalls nicht.

Als einzigen Ausweg aus dieser Krise sieht Abdel-Samad eine Säkularisierung, offenbar nach europäischem Vorbild. Ihm schwebt ein »Islam light« ohne die Scharia, und den heiligen Kampf, den Dschihad, vor. Doch dafür scheint die Zeit noch nicht reif zu sein. Denn selbst Islamreformer beziehen sich meist auch weiterhin auf den Koran und durchsuchen ihn nach positiven Passagen, die für das moderne Leben taugen. Sie vergleicht Abdel-Samad mit dem Salonorchester auf der »Titanic«, das den Eindruck von Normalität auf einem untergehenden Schiff erwecken soll.

Hamed Abdel-Samad: Der Untergang der islamischen Welt: Eine Prognose. Droemer Verlag München, 240 Seiten, 18 Euro.