Kein Verfolgungsinteresse mehr

Kurdische Demonstrantin wegen Zeigens einer Kongra-Gel-Fahne angeklagt

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.

Staatsschützer, die unerkannt Demonstrationen begleiten, haben eine Liste von Farben und Symbolen, die sie als verboten einstufen. Wenn sie beispielsweise eine Fahne entdecken, die auf der oberen Hälfte rot, der unteren Hälfte grün ist und in deren Mittelpunkt eine gelbe Sonne mit »stachelförmigen Strahlen rundum« zu sehen ist, dann ist Gefahr im Verzug. Dann muss eingeschritten werden.

So geschehen am 14. Mai um 15.55 Uhr in Charlottenburg. Da demonstrierten Frauen gegen Hinrichtungen im Iran. Und als jenes Farbenensemble die Straße überspannte, schritten die Staatsschützer ein, weil sie wussten: Hier handelt es sich um das Symbol von Kongra-Gel, die vom Verfassungsschutz als Nachfolgeorganisation der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) eingestuft wird. Die Organisatorin der Aktion, Pervin K., stand gestern wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz vor Gericht.

Nun liegen gewaltsame Proteste der PKK in Deutschland und das PKK-Betätigungsverbot schon 17 Jahre zurück und Kongra-Gel, der heutige politische Arm der kurdischen Bewegung, ist weder in Berlin noch sonstwo ernsthaft in Erscheinung getreten. Auch die Demonstration vom 14. Mai auf dem Breitscheidplatz war außerordentlich friedlich. Doch Verbot bleibt Verbot, da helfen keine Pillen. Und so fährt der Staat schwere juristische Geschütze auf gegen die Sonne mit stachelförmigen Strahlen rundum.

Irgendwie peinlich scheint es den Hütern des Gesetzes doch zu sein, einen richtigen großen Prozess gegen eine Frau zu führen, die sich für eine zutiefst menschenwürdige Sache engagiert. Sie bieten der Kurdin an, das Verfahren ohne Urteil vorläufig einzustellen, wenn sie denn bereit ist, 500 Euro innerhalb eines halben Jahres an die Justizkasse zu zahlen. Die 37-Jährige willigt ein, obwohl sie ab Ende des Monats über keinerlei Einkünfte mehr verfügt, da sie arbeitslos werden wird.

Damit ist das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung beseitigt worden, erklärt der Vorsitzende Richter. Das heißt, wir, Sie, ich, also der gemeine Bürger dieser Stadt, haben kein Interesse mehr daran, dass der Frau der Prozess gemacht wird. So steht es im Protokoll der Verhandlung. Wird die Geldauflage für die mittellose Frau zu einer unüberwindlichen Hürde, dann wächst das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung von Pervin K. wieder. Kann sie innerhalb der Frist nicht zahlen, wird das Verfahren wieder aufgenommen und sie muss wegen des Zeigens der stachelförmigen Sonne mit einer Verurteilung rechnen.

Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut in dieser Demokratie. Man darf für oder gegen etwas demonstrieren, so oft und so lange man will. Über 2000 Demonstrationen registriert die Polizei jedes Jahr in Berlin. Alles ist im Rahmen des Gesetzes möglich, doziert der Richter. Nur eine Stachelsonne sollte man nicht dabei haben. Auch wenn sie völlig ungefährlich ist. Denn sie ist und bleibt verboten. So lassen sich Demonstrationen auch mit Strafzahlungen regulieren.

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