Alt werden fern der Heimat

Hessische Wissenschaftler ermitteln Wünsche und Sorgen betagter Migranten

  • Rieke C. Harmsen
  • Lesedauer: 3 Min.
»Potenziale der Selbstorganisation älterer Migranten fördern« ist das Ziel eines Projektes von Sozialforschern der Universitäten Fulda und Wiesbaden. Zunächst soll festgestellt werden, wie sich Migranten ihr Leben als Senioren in Deutschland vorstellen.

München/Fulda/Wiesbaden. Gregor Giannopoulos kam vor über 40 Jahren aus Griechenland als Gastarbeiter nach München. Er suchte eine billige Wohnung und zog in die Siedlung am Hasenbergl im Norden der Stadt – damals ein Arme-Leute-Viertel, dem es an Infrastruktur und Schulen fehlte. Heute ist das anders, sagt Giannopoulos. Doch es gibt andere Probleme für Migranten. Die aufzuspüren ist Aufgabe des Forschungsprojekts »Amiqus« der Hochschulen Fulda und Wiesbaden, das vom Bundesbildungsministerium unterstützt wird. »Amiqus« steht für »Ältere MigrantInnen im Quartier«.

Die Sozialforscher wollen bis April 2012 die »Potenziale der Selbstorganisation älterer Migranten fördern«. Im Klartext: Ehemalige Gastarbeiter oder Spätaussiedler, die in Deutschland alt wurden und nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren werden, sollen an der Gestaltung ihres Umfelds beteiligt werden, wie Stefan Fröba von der Diakonie am Hasenbergl erklärte. Der Sozialpädagoge hat das Projekt auf den Weg gebracht.

»Wir müssen wissen, wie sich Migranten ihr Leben als Senioren in Deutschland vorstellen«, erklärt Fröba. Mit Fragebögen wird ermittelt, wie Migranten ihre Situation empfinden, welche Wünsche und Probleme sie haben und welche Ressourcen sie mitbringen.

Anleitung zur Selbsthilfe

Um vergleichbare Daten zu erhalten, wurde das Projekt groß angelegt. Umfragen finden auch am Aschenberg in Fulda statt, wo viele Aussiedler leben, sowie in zwei Quartieren in Wiesbaden, wo es ebenfalls Siedlungen mit einem hohem Migrantenanteil gibt.

Fröba setzt auf Vertrauensbildung und hat dazu einen Kreis von rund 20 Ehrenamtlichen aufgebaut, die unter anderem die Fragebögen verteilen. Zur Gruppe gehören auch Italiener, Vietnamesen und einige Türkinnen. Fröba hat außerdem eine Zukunftswerkstatt organisiert. Von den dort gesammelten Ideen werden nun fünf Projekte umgesetzt.

In den kommenden Monaten soll etwa ein Stadtplan entwickelt werden, der alle Veranstaltungsräume auflistet und erklärt, welche Einrichtungen wie genutzt werden können. Auch sollen Informationsbroschüren und Veranstaltungen zum Thema »Doppelte Staatsbürgerschaft« und »Ärztliche Versorgung« erarbeitet werden. Schließlich sollen eine Begegnungsstätte und ein Hobbyraum geschaffen werden. »Beendet ist der Prozess eigentlich erst dann, wenn sich die Migranten selbst helfen und selbst organisieren können«, so Fröba.

In Fulda ist die Arbeiterwohlfahrt (AWO) als Projektpartner mit im Boot. »Weil die AWO eine etablierte Institution ist, die bereits in dem Quartier und mit der Zielgruppe arbeitet, war sie von Anfang an unserer Wunsch-Partner«, sagt Professorin Monika Alisch vom Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Fulda, die die Gesamtleitung innehat. Professor Michael May, Sozialwissenschaftler an der RheinMain-Hochschule, beobachtet, dass der Wille zur Integration bei den Senioren meist vorhanden ist. Trotzdem seien einige auch nach Jahrzehnten in der Fremde noch sehr in der Welt ihrer Heimat verankert.

Massive Diskriminierung

Der Experte nennt dafür ein klares Indiz: Viele Zuwanderer der ersten Generation messen »ihrem familiären und verwandtschaftlichen Netzwerk« große Bedeutung bei. Erste Umfrageergebnisse belegten zudem, dass viele ältere Zuwanderer in Deutschland massive Diskriminierungen in verschiedensten Bereichen erfahren haben.

Aber: Fühlten sich die Menschen wahrgenommen und geachtet, wachse daraus der Wille, selbst etwas zu unternehmen und die eigene Lebensqualität zu steigern. Das, sagen die Experten, »war für viele Teilnehmer eine völlig neue und wichtige Erfahrung«.

Informationen im Internet unter: www.amiqus.de

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