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Rauch-Zeichen

Zigarette, Steuer und Jean Gabins Mund

  • Hans-Dieter Schütt, Nichtraucher
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Tabaksteuer wird stufenweise steigen. Die Zigarette gerät mehr und mehr zur Luxusdroge. Der Krieg zwischen Rauchern und Nichtrauchern geht so in eine neue Phase – und dies nur, weil die energieintensive Wirtschaft von der regierenden Koalition nicht wie geplant belastet werden soll.

Raucher zu schröpfen, kommt gut an – es ist die pure Feindbildpflege. Der militante Nichtraucher ist nämlich längst unerträglicher als jeder Prediger deutscher Leitkultur. Wo stocknüchterne Gesund-Beter herandräuen – die Zeigefinger selber wie Glimm-Stengel! – darf gerufen werden: Zigarette sich, wer kann! Denn die Welt ist vollgestopft von Leuten, die das Rauchen am liebsten sogar unter Wasser verbieten würden, und die fest an den Irrtum glauben, dass alles, was gesund ist, auch glücklich mache. So sehen sie auch aus.

Das allgemeine öffentliche Rauchverbot und jene allseitige Diskreditierung der Raucher, welcher nun bald neue Nahrung gereicht werden wird – beides traf zum Beispiel auf den Trotz und die Lust des sogenannten Regietheaters, und so sind in den Schauspielhäusern unerwartete, aber durchaus zündende Konflikte zwischen Oben und Unten aufgebrochen: Ich erlebte es in neuerer, rigider Qualm-Verbotszeit in Münchens Residenztheater, an Wiens Akademietheater und am Deutschen Theater (dem einstigen Theater der rauchenden Wolfgang Langhoff, Friedo Solter, Peter Hacks, Rolf Winkelgrund, Wolfgang Heinz): nämlich, dass sich Schauspieler auf der Bühne, in ihrer jeweiligen Rolle und darin aber nicht unbedingt zwangsläufig, doch entschlossen und fortwährend Zigarren und Zigaretten anzündeten, so, als schritten sie zu einem provokativen Akt (ha!, die Freiheit der Kunst ist größer als die Freiheit jedes Kneipers) – und wie dann Zuschauer ebenso provokativ laut und vor allem künstlich zu husten begannen, und ein wechselseitiges Rauch-Einsaugen (oben) und Grimm-Ausstoßen (unten) in einen Wettbewerb ganz eigener Kunst-Fertigkeit hineinglitten. Das Ganze zeigt, wie wenig es bedarf, um aus einem Geschmacks- oder Genussunterschied Feindschaft zu keltern.

Dabei ist der Beitrag der Zigarette zur Kunstgeschichte ein unbezwingbarer Mythos. Humphrey Bogart wäre ohne Zigarette nur die Hälfte wert gewesen. Trügen Simenons Kommissare nicht das Merkmal des Pfeiferauchens, so wäre es zu einem großen Rätsel des Kinos geworden, warum Jean Gabin denn überhaupt diese zusammengepressten Lippen hatte – gesagt hat er ja fast nichts. Der gesamte französische Film, jener Film Noir, das Werk von Malle bis Sautet (blauer Rauch stieg auf in bläulicher Kälte) besäße wenig Aroma, käme zu den hochgeschlagenen Mantelkragen der Herren Montand und Piccoli und Delon und Trintignant nicht regelmäßig jener glimmende Stengel, den die Filmgeschichte seit eh und je und wirkungsgierig weitergab, um immer die gleiche Stimmung zu konservieren: Es ist besser, einsam unterwegs zu sein, als bei irgendwem anzukommen; nur was eine Zigarettenlänge dauert, dauert ewig; und mit der Zigarette danach beginnt der Traum vom schöneren Abenteuer.

Nicht nur die Zigarette, auch die Zigarre gehört zur Geschichte der Kunst. Freilich auch derer, die sich ans Schlepptau hingen. Die Brecht-Zigarre etwa half, viele dichterische, theatralische Epigonenschicksalen wenigstens in einen berühmten Dunst zu hüllen, wenn schon sonst alles sehr blass und durchsichtig im jeweiligen Kopf war. Mittels der Zigarre wurde auch versucht, Heiner Müller zur Massenorganisation zu machen.

Die Tabakware als Seelenspiegel: 1964 interviewte Günter Gaus den düsteren Schriftsteller Arthur Koestler (»Zur Person«), der vom Kommunisten zum Renegaten geworden war, vom Verführten zum rücksichtslos Denkenden. Wie dieser Mann vor der Kamera sitzt, sich immer wieder mit den Händen die Augen reibt, unentwegt raucht, wie er ein ganz fernes, abgründiges Lächeln zu seinen Zigarettenzügen auflegt, wie er zwischen Arroganz, bitterer Klugheit und Resignation antwortet – das sind Kennzeichen eines zerstörten, tief getroffenen Menschen, der einmal sehr tollkühn gewesen sein und das Feuer gesucht haben muss. Jetzt aber, zum Zeitpunkt des Gesprächs, hat er mit der Asche zu tun, die in seine Jahre hineinsickerte, und einmal »tropft« Zigarettenasche ab, Koestler zeigt mit dem Zeigefinger hin zu den fallenden Partikeln: So enden wir alle ...

Da die Zigarette zu einer Verfemten geworden ist, kommt es einer Revolte im Camus'schen Sinne gleich, wenn Regisseur Hans Neuenfels sogar in Bayreuths Zuschauerraum qualmend seine Proben leben durfte.

Soeben sind die Memoiren von Keith Richard auf deutsch erschienen. Diesen Zombie konnten keine herabstürzenden Kokosnüsse zurück ins Jenseits holen, das er wohl nie verlassen hat, er ging auch nicht zugrunde an heftigstem Drogmatismus, ihm tropft ja der Teer oder weit stärkerer Stoff aus allen Poren – nein, dieser zerschrundene »Stone«, Hände wie krebskranke Trauerweidenstümpfe, blieb immerdar lebend, und Fotos dieser Tage zeigen die Zigarette in seinem Mund wie das AKW einer total verrußten Seele – aber man sieht's, und man sieht's als krass-schönes Da-Sein außerhalb aller Achtsamkeiten.

Es geht einem also ein wenig wie dem erwähnten Zigarrenfreak Heiner Müller (dem Original), der die farb-überbordenden Geranienbalkons am bayerischen Chiemsee sah und erschrocken ausrief: Angesichts dieser Sauberkeit und Reinheit und Schönheit sei eine totale »Umweltverschmutzung das letzte Refugium des Humanen«. Und also belächelt man für Momente die ordentlich Geblümten, lebensrhythmisch Gestriegelten, eingeschliffen Braven und therapeutisch und naturmedizinisch Beflissenenn, die bei den (nicht weniger marktraffinierten) Verkäufern des Tugendsamen um ein bisschen unaufgeregtes, sauberes, verschontes, schlaffördendes, kurzum: nikotinfreies Leben betteln. Egoisten! Während der Raucher selbstlos Artenerhalt betreibt, denn immer mehr Krebsarten, so hört man, seien am Aussterben.

Es ist allgemein üblich, sich Zigaretten selbst zu drehen. Die Praxis wird boomen: Rauchen wird teurer, die Zigarette also unumkehrbar zum Steuerbescheid – in den etwas Tabak eingewickelt ist.

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