Kein Ende, ein Anfang

Konservative Elite und Debatte um NS-Täter im Auswärtigen Amt

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 4 Min.

Menschen, die keine Brüche in ihrer (politischen) Biografie kennen, keine Erschütterung im Glauben an feste Gewissheiten, werden es kaum verstehen können, was derzeit zaghaft im westdeutschen Bürgertum an Erkenntnis zu reifen beginnt: Die, von denen man glaubte, sie hätten in dunkler Zeit wenigstens im Eigenen das Licht der Zivilisation am Glimmen gehalten, sich bemüht, während der NS-Zeit ein richtiges Leben im falschen zu führen, waren – Verbrecher, gemeine, moralisch pervertierte Verbrecher! Es mag abseits des konservativen Bürgertums leicht sein, von Verbrechern zu reden, im Milieu selbst erfordert es noch heute Überwindung. Und doch: Sie überwinden sich. Es ist eine Art Katharsis, der schmerzhafte Prozess einer Ablösung von den geistigen und politischen Vorbildern.

Diese beginnt mit einem Irrtum. Die vorliegende Untersuchung einer Historikerkommission zur Verstrickung des Auswärtigen Amtes in NS-Verbrechen weise »erstmals für ein Reichsministerium nach, dass es sich aus eigenem Antrieb und nicht nur auf höheren Befehl in fast allen Abteilungen der Vernichtungspolitik Hitlers angeschlossen hatte«, schreibt FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher in seinem Leitartikel am Donnerstag. Der Irrtum ist erklärlich – und er gehört zum Grundkonsens des konservativen Bürgertums der Bundesrepublik: Gepflegte Diplomaten, gebildete Rechtsgelehrte, belesene Herren mit Manieren konnten kein Blut an den Händen haben. Doch Schirrmacher beginnt schon im nächsten Satz, den Irrtum selbstkritisch aufzuarbeiten. Die veröffentlichten Dokumente zeigten »darüber hinaus, dass die Entlastungsthese, wonach nur das ›Judenreferat‹ unter seinem Leiter Franz Rademacher am Holocaust beteiligt war, eine reine Legende ist«.

Da ist es, das erlösende Wort: Legende. Damit beginnt die Selbsterkenntnis, dass man jahrelang aus Angst, die Wahrheit zu erfahren, keine Fragen gestellt, keine Antworten haben wollte. Schirrmacher weiter: »Dieser Apparat hat bis zum Ableben einer ganzen Generation bis in die neunziger Jahre vergangenheitspolitisch nur den einen Antrieb: dass er nicht repariert werden muss, weil niemals etwas falsch gemacht wurde.« Und am Ende seines Textes geht der FAZ-Herausgeber den für ihn heikelsten Punkt an: Das moralische Versagen selbst des liberalen Bürgertums bei der Aufarbeitung der Aufarbeitung. Das beschreibt Schirrmacher am Umgang mit der Person Ernst von Weizsäckers, der nach 1945 zum »Symbol insbesondere bildungsbürgerlicher Eliten« geworden sei. »Seine Verurteilung, so schien es vielen – von Marion Gräfin Dönhoff über den ›Spiegel‹ bis hin zur FAZ – käme einer Verurteilung all jener gleich, die Hitler dienten um das Schlimmste zu verhindern, wenn sie sich nicht sogar ab 1938 in der Konspiration und im Widerstand bewegten.«

Doch eine Kritik an die Lebenden traut sich auch Schirrmacher nicht. Sein Text endet versöhnlich. Die Geschichte kenne nicht nur »das Schreckliche, Angepasste und Böse. Sie kennt auch, wenn nicht die Erlösung, so doch die Versöhnung«. Und die ist für Schirrmacher mit der Person des Sohnes von Ernst von Weizsäcker verknüpft. »Auf dem Weg zu Richard von Weizsäcker (…) kommen wir an Schinkels Trauerhalle vorbei. Kleine Menschentrauben, darunter viele Touristen, haben sich vor den Plaketten am Eingang gebildet, wo Menschen die Inschrift lesen. Es sind die wichtigsten Sätze aus Richard von Weizsäckers Rede vom 8. Mai 1985. Vielleicht kann man jetzt erst ermessen, wie mutig die Rede des Staatsoberhaupts war, der auch als Sohn sprach.«

Mutig ja, doch ein konsequenter Bruch mit der Vätergeneration war auch diese Rede nicht. Der aber wäre Voraussetzung für Versöhnung. 1968 wurde dieser Bruch – wenigstens in Teilen – vollzogen, indem die alten Autoritäten im Sturm und Drang der Jugend in Frage gestellt wurden. Emanzipation ist nur um den Preis der schmerzhaften Ablösung vom Alten zu haben – selbst dann, wenn dafür der Furor der individuell empfundenen Ungerechtigkeit in Kauf genommen werden muss.

An diesen tastet sich der Chefredakteur des in Berlin erscheinenden »Tagesspiegel«, Lorenz Maroldt, heran. Am Freitag schreibt er in seinem Leitkommentar, Außenminister Guido Westerwelle habe in seiner Rede bei der Vorstellung der Studie davon gesprochen »dass die Rede Richard von Weizsäckers zum 40. Jahrestag des Kriegsendes eine entscheidende Wegmarke gewesen sei zur Aufarbeitung und zur Offenheit. (...) Im Nachhinein, vor dem Hintergrund neuer, vertiefter Erkenntnisse, aber auch konfrontiert mit dem immer wieder neuen Staunen über Altbekanntes, zeigt sich indes ein geradezu historischer Irrtum in der damaligen Rezeption. Weizsäcker (...) erklärte für sich und die Deutschen: ›Wir brauchen und wir haben die Kraft, der Wahrheit so gut wir es können ins Auge zu sehen, ohne Beschönigung und ohne Einseitigkeit.‹ Ein schillernder Satz, der Klarheit nur vortäuscht. Wie gut konnten wir denn? Wie gut konnte er? Wozu reicht die Kraft? (...) Diese Geschichte ist noch lange nicht zu Ende.«

Das dem so ist, ahnt auch Frank Schirrmacher. »Es war ein Gefecht um Deutungshoheit über die Geschichte des 20. Jahrhunderts, und die alten Männer, das muss man jetzt sagen, haben sie verloren. ›Ihr wolltet einen Nachruf‹, sagt (Joschka) Fischer heute, ›hier habt ihr ihn‹. Und deutet auf das dicke Buch.«

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