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Gullys im Museum

Verstecktes Design

  • Ulrike von Leszczynski, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein gusseisernes Stück DDR mit Hammer und Sichel, ein Berliner Bär vor dem Rathaus Schöneberg. Was wir achtlos mit Füßen treten, ist für Designer und Fotografen eine Entdeckung: Straßendeckel in Berlin.

Das Jugendstil-Exemplar in der Kreuzberger Solmsstraße ist ein Schmuckstück, auch die grüne Art Deco-Gitterkachel in den Hackeschen Höfen gehört zu den Hinguckern. Doch kaum jemand achtet auf Berlins Straßendeckel, diese runden oder eckigen Einstiege in die Unterwelt der Gas-, Wasser- oder Telefonleitungen. Am bekanntesten ist wohl der Gully. Eine Foto-Ausstellung im Technikmuseum will die Sinne vom 2. November an schärfen. »Sie liegen uns zu Füßen«, heißt die kleine Schau, die ein eher unbekanntes Stück Berliner Alltagsgeschichte beleuchtet.

Die Berliner Industrie-Designerin Annett Stroetmann hat die Fotos für die Ausstellung gemacht. Sie lenkt die Aufmerksamkeit gern auf alltägliche Dinge, die kaum Beachtung finden und einfach ihren Dienst tun. »Vielleicht gehen die Menschen dann anders mit ihnen um«, sagt sie. Kaugummi, das auf Straßendeckeln klebt, mag sie gar nicht.

Stroetmann betrachtet das Berliner Pflaster mit international geschultem Blick. Ihre Liebe zu Schachtdeckeln entdeckte die Designerin zuerst in Italien und später in Japan. Dort sind Gullys oder Kanaldeckel eine seit Jahrhunderten gepflegte Alltagskunst. Tokio hat ein Ginkoblatt als gusseisernes Symbol, Kirschblüten als Deckel-Motive gibt es nur im Ueno-Park der japanischen Hauptstadt.

Dagegen ist Berlin eine Schachtdeckel-Designwüste. Eine Systematik gibt es nicht, eher zufällige Überbleibsel aus den vergangenen beiden Jahrhunderten. Muster aus Gusseisen lassen sich seit 1847 herstellen. In den 1870er Jahren bekam Berlin seine Kanalisation und damit auch die ersten Straßendeckel dafür. Es gab viele Architekten, die damals für ihr schickes Jugendstilhaus die passenden Schachtverschlüsse auf der Straße gleich dazuzeichneten. Übrig geblieben sind nach zwei Weltkriegen und der Stadtmodernisierung aber nicht allzu viele.

Lichtblicke gibt es dafür aus jüngster Zeit. So haben die Wasserbetriebe für ihre Schächte im Regierungsviertel einen runden Deckel designen lassen. Er zeigt Berliner Sehenswürdigkeiten wie den Fernsehturm, die Siegessäule und das Brandenburger Tor in Gusseisen. Weniger ansehnlich ist, was die Telekom über ihre Anschlüsse legt. Meist ist es eine rechteckige, ausgegossene Betonplatte ohne jeden Reiz.

Liebhaber Berliner Straßendeckel gibt es aber durchaus. Darunter seien viele Fotografen, berichtet Stroetmann. »Es gibt aber auch Sammler, die sich diese Deckel in ihren Garten legen.« Sie selbst würde nicht soweit gehen. Von hübschen Fundstücken im Straßenpflaster hat sich die Industrie-Designerin, die auch Goldschmiedin ist, dafür inspirieren lassen. In ihrem Wilmersdorfer Atelier gibt es Ohrringe und Gürtelschnallen mit dem Gittermuster japanischer Schachtdeckel zu sehen. Die schönsten Berliner Exemplare hat Stroetmann auf Plakaten und Lesezeichen verewigt.

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