Im Dienste anderer

Zum 100. des Dichters und Majakowski-Übersetzers Hugo Huppert

Im Herbst 1928 starb Hugo Hupperts junge Frau, weitab vom heimatlichen Wien und fern auch der Wahlheimat Moskau, während einer Reise durch Mittelasien, wo die schwarzen Pocken grassierten. Als der niedergeschmetterte Österreicher dem ihm damals erst flüchtig bekannten Wladimir Majakowski schluchzend davon erzählt, begegnet ihm dieser mit einem emotional stark bewegten menschlichen Anruf: Über den Tisch hinweg packt er ihn schmerzhaft bei den Handgelenken, »und sein zuckender großer Mund spricht nur das einsilbige Wort aus: "brat"! »So hat er mich Bruder genannt, mich zum Bruder ernannt, sich mit mir verbrüdert.« Ein lebensbestimmendes Ereignis für den künftigen Majakowski-Nachdichter, der gerade als Immigrant nach Sowjetrussland gekommen war und sich mühsam zu orientieren suchte. Und den kurz zuvor die »Neue Bücherschau« in Berlin als einen Dichter-Novizen von Format bezeichnet hatte. Gewiss war der Russe voller Mitgefühl. Aber er suchte auch nach Helfern, die seinem Werk zu internationaler Wirksamkeit verhelfen konnten. Majakowskis avantgardistische Haltung und Bildhaftigkeit war nur schwer in andere Sprachen und kulturelle Milieus zu transformieren. Der sprachsensible Huppert jedoch hatte günstige Voraussetzungen dafür. Nicht nur, dass ihn Persönlichkeit und Werk »Majaks« begeisterten, so dass er diese Aufgabe, vor allem nach dem Freitod des Dichters, als Verpflichtung empfand. Er war auch bald mit dem ungestümen Elan wie mit dem zermürbenden Alltag des Sowjetlebens vertraut, die Majakowskis Pathos und die umgangssprachliche Fundierung seiner Dichtung prägten. Durch eigene bittere Erfahrung mit dem stalinschen Terror, während seiner Verhaftung 1938-39 mit Dunkelhaft und Folter, war Huppert ein neues Verständnis für die Kritik des Dichters an den Entartungen des Systems zugewachsen - wie auch für den selbstmörderischen Zweifel in dessen Texten; gemildert höchstens durch eine nationaleigentümliche Versöhnlichkeit, die er einmal in die Verse gefasst hat: »Freilich wirkt im Österreicher/ das gewitternde Idyll/ bunter, sanglicher und weicher/ als er manchmal selber will.« Hupperts Majakowski-Übersetzungen sind deshalb nicht unbestritten. Aber sie haben zur deutschsprachigen Einbürgerung dieses großartigen Dichters wesentlich beigetragen. Erste Ergebnisse dieser Arbeit lagen schon Anfang der 40er Jahre vor. Ihr Gipfelpunkt aber war zweifellos die im Verlag Volk und Welt Berlin von Leonhard Kossuth in den Siebzigern herausgegebene fünfbändige Ausgabe, mit der Huppert wohl wahrhaftig den seinerzeitigen brüderlichen Zuspruch Majakowskis vergolten hat. Auch sonst rührte er unentwegt die Trommel für dessen Werk, (u.a. »Erinnerungen an Majakowski«, 1966). Das wäre wohl auch in unserer sich so multikulturell gebärdenden Gesellschaft nötig, ebenso wie die Kenntnisnahme anderer Übertragungen Hupperts, etwa die von Werken Twardowskis, Pasternaks, Wosnessenskis. Oder die des georgischen Nationalepos, Schota Rusthawelis »Der Recke im Tigerfell«, ein klassisches Werk der Frührenaissance, das gleichermaßen höchste Anforderungen an den Übersetzer, seine historische Einsicht wie sein poetisches Vermögen, stellte. Hupperts eigene Lyrik dagegen ist durchaus virtuos, erreichte aber selten das Gewicht seiner Nachdichtungen. Es mangelt ihr an poetischer Intensität, auch als in den späteren Jahren ein angestrengt-eigener Formwille hervorgekehrt wird. Er weiß es selbst, bekennt sich dazu: »Auch zweite Geigen machen Musik...« Bemerkenswert hingegen die breit angelegte Autobiografie dieses umgetriebenen Menschen, die in drei Bänden 1976-79 im Mitteldeutschen Verlag Halle erschien. Sie bietet ein zeitgeschichtliches Panorama Österreichs, vor allem aber des sowjetischen Russland, das selten so akribisch beschrieben worden ist. Geboren im jüdischen Talentebecken der K. und K.-Provinz - sein einziger Bruder wird im Nazi-KZ ermordet -, studierte Huppert Staatswissenschaften und Soziologie in Wien und Paris und sympathisierte früh mit der Arbeiterbewegung. Gebildet und kontaktfreudig, lernte er viele Persönlichkeiten des geistigen Lebens kennen, deren lebendige Schilderungen ebenso den Wert dieser Bücher ausmachen wie die detailrealistische Darstellung des Alltagslebens und der eigenen Irrungen und Wirrungen. Im Moskauer Marx/Engels-Institut arbeitet er an der Herausgabe der für das zeitgenössische Denken so wichtigen philosophisch-ökonomischen Manuskripte von Marx mit. Als Redakteur deutschsprachiger Organe, so der »Deutschen Zentralzeitung« und der »Internationalen Literatur«, wirkt er im Kreis der deutschen Anti-Nazi-Emigranten. Selbst stets kräftig polarisierend, gerät er durch Denunziationen in die Fänge des NKWD, wird nach 13 Monaten wieder entlassen, von den Freunden mit Misstrauen beäugt. Während des Krieges zeitweilig eine Art Sekretär Ehrenburgs, nimmt er in der Uniform der roten Armee an der Befreiung seiner österreichischen Heimat teil und entfaltet in Nachkriegsösterreich rege politische und kulturpolitische Aktivitäten. Den Frauen stets zugetan, zwingt ihn harte sowjetische Staatsräson wegen der Beziehung zu einem serbischen Mädchen erneut in die Verbannung, die er zwischen 1949 und 1956 in Moskau und Tiflis verbringt. Die Einordnung ins österreichische Kulturleben gelingt dann nicht mehr befriedigend; immerhin erhält er eine Ehrenpension. Anerkennung findet er vor allem in der DDR. Hier erscheinen seine Übersetzungen, seine Gedichtbände. In der »Weltbühne« veröffentlicht er Reportagen, gern gelesen, 1963 unter dem Titel »Münzen im Brunnen« zusammengefasst. Er wird Mitglied der Akademie der Künste und Mitarbeiter des DDR-PEN, erhält Preise und Auszei...

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