»Mit Hilfe der Neuen Medien die Verstreuten sammeln«

LINKE-Politiker Lothar Bisky über das Druckerschwärze-Erbe der Arbeiterparteien, seine Zugehörigkeit zur »Generation C64« und die Chancen auf mehr Demokratie durch neue Technologie

  • Lesedauer: 5 Min.
Auf dem DIE-LINKE-Programmkonvent am vergangenen Wochenende forderte Lothar Bisky eine stärkere Hinwendung seiner Partei zum »Informationsproletariat«. Die Infoproletarier seien Subjekte der Veränderung, sie entwickelten Chancen weiter. Im Gespräch mit Marcus Meier erläutert Bisky nun seine Ideen. Der 69-jährige Medienwissenschaftler war Bundesvorsitzender der PDS, später der Linkspartei. Seit Juni 2009 führt Bisky im Europaparlament die Fraktion Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke. Er ist zudem Vorsitzender der Europäischen Linken, einem Zusammenschluss von 15 europäischen Parteien aus dem linken Spektrum.
Meier: Herr Bisky, mit welchen Computern haben Sie zu DDR-Zeiten gearbeitet?
Bisky: Mit einem Commodore 64. Das war ein Geschenk meiner Mutter, die Westgeld hatte. Es hat sich damals so ergeben – und war für mich eine Riesenerleichterung.

Der gute alte »Brotkasten«! Das heißt: Sie zählen auch zur Generation C64?
Ja. Als Medienwissenschaftler war klar, dass ich mich mit den Neuen Medien beschäftige. An der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg, deren Rektor ich ja war, hatten wir Neue-Medien-Gruppen. Gearbeitet wurde mit dem C64, aber auch mit anderen Rechnern. Einige der damaligen Studenten sind heute Unternehmer und stellen Bilder per Computer her.

Sie sagen: »Informationsprekariat« und »Informationsproletariat« seien Subjekte sozialer Veränderung. Weil sie neue und ungenutzte Chancen für positive Veränderungen täglich weiter entwickeln würden. Sie müssten im Programm der LINKEN deutlicher vorkommen. Wer genau zählt zum »Infoproletariat«?
Der Begriff Informationsproletariat ist leicht ironisch, das ist kein fester wissenschaftlicher Begriff. Gemeint sind Leute, die mit Informationen einen Teil oder ihren ganzen Lebensunterhalt verdienen. Manche sprechen von Kreativindustrie, manche von Kulturindustrie. Das ist ein weites Spektrum. Sie zeichnen sich durch sehr dynamische Arbeits- und Lebensverhätnisse aus, haben oft geniale Ideen und machen, so in Berlin, ganze Stadtteile lebenswert. Dort ist einfach etwas los, auch intellektuell. Dort prickelt es nur so. Deswegen glaube ich, sie sind eine besondere Schicht.

Was kann das »Infoproletariat« von der LINKEN erwarten?
Man muss auf sie zugehen, mit ihnen reden, sie auch verstehen. Meine Partei kommt ja aus der Tradition der Arbeiterbewegung. Aber im 21. Jahrhundert kann man nicht mehr nur Kohle- und Stahlkumpel als Arbeitnehmerschaft sehen. Das Informationsproletariat zeichnet sich durch ganz andere Arbeits- und Lebensverhältnisse aus. Ich kenne viele hervorragende Fotografen und Journalisten, die arbeitslos sind oder in unsicheren Arbeitsverhältnissen. Statt wie früher festangestellt zu sein, müssen sie sich für wenig Geld verkaufen. Die Tendenz, dass Zeitungen mit redaktionellen Mänteln arbeiten und immer weniger kreative Leute in den Redaktionen zu beschäftigen, ist ja international. Ein Besorgnis erregender Prozess. Dem muss sich DIE LINKE stellen, wir müssen uns ihrer Probleme annehmen.

Wie kann die LINKE vom »Infoproletariat« profitieren?
Die LINKE kann von dort viele Impulse bekommen. Parteileben ergibt ja nur dann Sinn, wenn die Leute miteinander kommunizieren, sich auf einander beziehen. Die Neuen Medien bieten Möglichkeiten für Information und Austausch. Das sind die Formen, mit denen wir arbeiten müssen, auch um mehr Menschen zu erreichen. Da können und müssen wir aber noch viel lernen. Da sind wir aber noch sehr schwach. Ich würde mir wünschen, dass die Partei ihren konservativen Zopf, den sie an vielen Stellen noch hat, abschneidet. Noch sitzen wir in Sälen und halten das für Parteiarbeit. Die Frage ist aber, wie man mit Hilfe der Neuen Medien die Verstreuten versammelt. Das sind die Kommunikationsmittel, die uns mit kommenden Generationen in Beziehung setzen.

Kommunikation ist gewiss gut. Aber irgendwann muss man ja zu verbindlichen Entscheidungen kommen. Bei allen elektronischen Abstimmungsverfahren gibt es aber ein Problem: Wir können nicht eine gleichzeitig geheime und transparente Wahl sicherstellen. Das setzt der E-Demokratie zumindest bisher Grenzen. Nehmen wir an, es wird keine salomonische technische Lösung geben: Können wir dann das Prinzip der geheimen Wahl mitunter preisgeben?
Bei den großen Wahlen wie Bundestagswahlen wurde ich dieses Prinzip definitiv nicht zur Disposition stellen. Aber es gibt ja vielerlei Formen der Abstimmung, auch innerhalb der Parteien etwa – und die direkte Demokratie ist stärker gefragt denn je. Auch ich sehe den von Ihnen genannten Widerspruch und habe kein Patentmittel, wie man ihn auflösen kann. Man muss die elektronischen Abstimmungen so intern halten wie möglich, man kann aber nicht jede Abstimmung so sicher machen wie beispielsweise eine Bundestagswahl. Man muss abwägen, was den Vorrang hat. Und im Zweifelsfall muss man auch sagen: Lieber zu Gunsten von mehr Demokratie die geheimen Wahlen reduzieren! Eine Demokratie ist ja nur dann gut, wenn sie dynamisch ist und sich auf viele Lebensbereiche erstreckt.

Die LINKE experimentiert in der Programmdebatte mit Elementen der E-Demokratie, konkret mit Liquid Democracy und dem Tool Adhocracy.
Das damit experimentiert wird, kann ich nur begrüßen. Wir müssen Erfahrungen sammeln. Meine Generation hat noch Probleme, die neuen kulturellen Werkzeuge zu nutzen. Bei den Jüngeren wird das absolut selbstverständlich sein.

Gleichwohl: Im linken Gesetzentwurf zur Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung findet sich kein Wort zum Thema Internet und eDemokratie. Der Antrag bezieht sich auf die bisher bekannten Verfahren mit Zettel und Bleistift, ohne die neuen Möglichkeiten mitzudenken. Ist die LINKE da nicht ein bisserl arg altbacken?
In diesem Fall ja. Man muss diese Themen aufnehmen. Direkte Demokratie lebt von Abstimmungsmöglichkeiten. Und das geht viel besser, schneller und kostengünstiger mit Hilfe der Neuen Medien. Im Grunde würde ich mich freuen, wenn meine Partei da an der Spitze der Bewegung stünde. Aber das ist ein langer Weg: Die Arbeiterparteien waren immer Druckerschwärzeparteien. Und dieses kulturelle Erbe schleppt sich in‘s 21. Jahrhundert. Das ist ja auch nichts generell Negatives. Aber wir müssen von der Druckerschwärze abkommen und die Neuen Medien und die neuen Möglichkeiten integrieren – in unsere Aktivitäten, in unsere Diskussionen und Entscheidungsfindung.

Neuere technische Systeme ermöglichten »größere Steuerungsprozesse und Planungen in gesellschaftlichen Prozessen«, so Ihre These. Was werden wir in Zukunft besser machen können?
Demokratie wird lebendiger werden. Unser bisheriges Modell ist am Postkutschenideal des 19. Jahrhunderts orientiert: Der Abgeordnete kann mit seiner Postkutsche seinen Wahlkreis umfahren und kennt die Leute alle. Heute aber wir eine ganz andere, eine massenmedial geprägte Realität. Wer mehr Demokratie will, der muss die Partizipations-Möglichkeiten der nutzen, die durch die Neuen Medien entstehen – und nur durch sie. Dann hätten wir die Chance auf eine Demokratie, die sich nicht nur darauf beschränkt, dass die Bürger alle vier Jahre ein kleines Kreuzchen in einer Wahlkabine machen.
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