nd-aktuell.de / 16.11.2010 / Kommentare / Seite 8

Nicht umbringen

Mathias Wedel
Flattersatz: Nicht umbringen

In unserer deutschen und demokratischen Republik haben sich die Menschen lieb. Sogar einander, also auf der Basis von Gegenseitigkeit. »Hintergründler« oder Arier – ganz egal. Ganz doll lieben wir das ungeborene Leben. Aber auch das geborene. Wir lieben sogar Tote. Speziell die, die für die Freiheit an der Ostfront ihr Leben in den Schnee gehaucht haben. Denen lassen wir aus dem Munde unseres Bundespräsidenten ein herzliches Dankeschön sagen. Wir lieben auch Tiere. Auch Pferde? Auch Pferde.

Doch alles hat Grenzen. Es gibt Menschen, bei denen die Liebe stockt wie die Milch bei Donner. Menschen, bei denen man sich beherrschen muss, sie nicht stante pede der Polizei auszuliefern. Nein, nicht jene, die einen seltsamen Dialekt oder sechs Finger an der linken Hand ihr Eigen nennen! Auch nicht jene, die in ihrem früheren Leben oft schlecht über unsere Republik dachten / sprachen! Es sind vielmehr jene – man muss schon sagen: Kreaturen –, die in Abständen, die sehr kurz sein können, die Lunge voll Rauch nehmen und diesen nicht etwa durch den jeweiligen After (was man tolerieren könnte, denn dazu sind Toiletten da), sondern durch den Mund wieder ausstoßen.

Diese Widerlinge gehören nicht etwa einer Rasse an – ihr Gen wurde nicht einmal durch Dr. Sarrazin isoliert, der kürzlich mit dem Nachweis des Juden-Gens dem Friedensnobelpreis einen Schritt näher kam. Ja, wenn sie eine Rasse oder wenigstens eine Ethnie wären, dann wäre es einfach mit ihnen! Wir würden ihnen zuerst die Gaststätten verbieten, dann alle öffentlichen Räume mit und ohne Dach und alle Verkehrsmittel. Dann sehen wir weiter.

Na gut, das alles können wir auch machen, ohne dass sie eine Rasse sind. Deshalb nennen wir sie tunlichst nicht Unter- oder Unmenschen. Auch sprechen wir vorerst nicht von unwertem oder – etwas feiner – von »einem durch das Rauchen entwerteten« Leben.

Kennzeichnen können wir sie natürlich trotzdem, auch wenn sie keine Ethnie oder Rasse sind. Das müssen wir sogar. Denn sie verfügen über die Tücke, sich nur dann als Raucher erkennbar zu machen, wenn sie rauchen. Ansonsten schleichen sie sich in unsere Kollektive, streben zu den Kommandohöhen von Politik, Wirtschaft und der ND-Chefredaktion oder gewinnen arglistig Geschlechtspartner für sich, um sich ungehindert fortzupflanzen. Beispielsweise müssen wir sie auf der neu einzuführenden Patientenchipkarte als Raucher kenntlich machen, damit sie aus der Solidargemeinschaft aller Krankenversicherten ausgeschlossenen werden können (denn es gibt – vom Fußpilz bis zum Hirntumor – praktisch keine Krankheit, die nicht durch Raucher verursacht wird, erst bei sich selber, dann bei den anderen).

Sie sind abscheulich, stören konzentrierte Arbeitsabläufe, emittieren Schadstoffe und zeigen welke Haut. Indes, dass sie einem besonderen Verfolgungsdruck ausgesetzt seien, können sie nicht behaupten. Im Gegenteil: Wir lassen sie ihre Neigung leben, Rauch zu schlucken und zu spucken. Denn es zeichnet sie eine nicht hoch genug zu schätzende Eigenschaft aus: Sie sind auch noch feige!

Sie sind die devotesten Kreaturen, die die Menschheit seit den Fußsohlenleckern im alten Rom hervorgebracht hat! Sie besuchen sogar Restaurants, aus denen man sie immer wieder rausgeschmissen hat. Sie haben schon mehrere verkorkste Wirtschaftsaufschwünge und das Kriegsgerät für Afghanistan bezahlt. Konnte eine Gemeinde einmal die Hundesteuer nicht einziehen – die Raucher bezahlen sie. Die Energiekonzerne befürchten Gewinneinbußen – die Raucher beeilen sich, die Verluste »vorsorglich« auszugleichen. Die Regierung erwägt ein Notprogramm für verkrautete öffentliche Grünanlagen – die Raucher stehen bereit.

Es ist an der Zeit, diesen Individuen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. In einem Raucherschutzgesetz sollte festgelegt werden: Diffamieren, erniedrigen, erpressen, beschimpfen, lächerlich und zur Sau machen, bloßstellen und mit Flaschen bewerfen – ja! Aber umbringen? Auf keinen Fall!