Kein »Bleiberecht nach Noten«

Mehrere Flüchtlingsorganisationen fordern einen Abschiebstopp für Minderjährige und nach Kosovo

  • Susann Witt-Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Flüchtlingsorganisationen nehmen die in Hamburg tagenden Innenminister in die Pflicht – vor allem aber ins Visier ihrer Kritik.

Alarmstufe Rot gilt auch für Flüchtlinge. Während die Innenminister der Länder sich auf ihrer Herbstkonferenz in Hamburg im Bann des permanenten Terroralarms den Beratungen über neue rigide Sicherheitsmaßnahmen hingeben, äußern Flüchtlingsorganisationen Kritik. Die gilt nicht zuletzt der Tatsache, dass dringende Fragen der Migrationspolitik auf der Tagesordnung der Innenministerkonferenz (IMK) vernachlässigt werden.

Dazu gehört das Thema UN-Kinderrechtskonvention, wie Thomas Berthold vom Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge moniert. Die Bundesrepublik hat die Vorbehalte »Ausländerrecht vor Kinderrechtskonvention« zurückgenommen. Aber das Kindeswohl werde immer noch nachrangig behandelt. »Abschiebehaft darf nur das allerletzte Mittel sein, ist aber immer noch gängige Praxis«, berichtet Berthold. »Auch das menschenunwürdige Prozedere der Altersfindung spottet nach wie vor jeder Beschreibung.«

Weitgehend ignoriert werde auch die prekäre Lage der 10 000 Roma, die aus Deutschland nach Kosovo abgeschoben werden sollen. »Ihnen droht dort totale Diskriminierung. Sie können nicht zur Schule gehen, bekommen keine Ausbildung und keine Arbeit«, mahnt Kenan Emini von der Initiative alle bleiben! und äußert sein Unverständnis gegenüber der mangelnden Bereitschaft der Politiker, Abschiebestopps zu erlassen.

Der Vorstoß der Innenminister Hamburgs und Niedersachsens, eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes auf den Weg zu bringen, wird von den Flüchtlingsräten und anderen -organisationen zwar begrüßt. Die vor allem von Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) forcierte »Dynamik« der Debatte im Vorfeld der IMK sei aber mehr als bedenklich, kritisiert Bernd Mesovic, Referent von Pro Asyl. Schünemann schlägt ein Aufenthaltsrecht für »integrierte Jugendliche« vor, das an ihre schulischen Leistungen geknüpft werden und das eine verbindliche Regelung des Status' der Eltern erst nach Volljährigkeit der Kinder vorsehen soll.

Diese Position »hat einen sozialdarwinistischen Beigeschmack und klingt so, als gäbe es auch Schädlinge unter den Flüchtlingen«, protestiert Mesovic gegen ein »Bleiberecht nach Noten«. In die »richtige Richtung« hingegen, aber nicht weit genug ginge die Initiative von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Die Bundesjustizministerin hatte vorgestern an die IMK appelliert, einen sofortigen Abschiebestopp für Jugendliche unter 18 Jahren zu erlassen. Ferner soll eine dauerhafte gesetzliche Neuregelung des Bleiberechts von Minderjährigen unabhängig vom Aufenthaltsstatus ihrer Eltern auf den Weg gebracht werden. Beispielsweise die Frage aber, was aus ihren Familienangehörigen wird, bliebe unbeantwortet, beanstandet Mesovic. Derzeit müssen bundesweit rund 86 000 »Geduldete« auf eine dauerhafte Bleiberechtregelung warten.

Die IMK wird durch zahlreiche Aktionen von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen begleitet. Am Mittwochabend folgten mehr als 1500 Menschen einem Demonstrationsaufruf von Jugendliche ohne Grenzen (JOG) und diversen antirassistischen Gruppen Unter dem Motto »I love Bleiberecht« protestierten sie für eine Abschaffung der Residenzpflicht, der Lagerunterbringung und des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Im Rahmen einer parallel zur IMK stattfindenden JOG-Konferenz sollte bei der gestrigen Abend-Gala der »Abschiebeminister des Jahres« gekürt werden. Als heißester Anwärter wurde der Schöpfer des neuen Flüchtlingstypus' »homo profitabilis« (Pro Asyl) Uwe Schünemann gehandelt. Die Preisverleihung findet heute statt.

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