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Berlin-Bohème Backstage

Szenefotografin Nan Goldin präsentiert ihr Hauptstadt-Oeuvre in der Berlinischen Galerie

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
Bea with the blue drink, O-Bar, West-Berlin, 1984
Bea with the blue drink, O-Bar, West-Berlin, 1984

Für solche Beobachtungen muss man Nan Goldin lieben: Sowohl New York als auch Berlin seien in den 80er Jahren Inseln für Minderheiten gewesen. »New York war ein Ort für Amerikaner, die die USA verlassen wollten, (West-)Berlin einer für Deutsche, die vor Deutschland Reißaus nahmen. Jetzt aber wollen alle Amerikaner nach New York und wohl auch alle Deutschen nach Berlin«, sagte die Fotografin, die in New York wie in Berlin gelebt und zu den früheren Minderheiten beider Städte gehört hat, anlässlich der Eröffnung ihrer Ausstellung in der Berlinischen Galerie. Sie vereint 80 meist in Berlin entstandene Arbeiten aus den Jahren 1984 bis 2009.

»Nan Goldin. Berlin Work. Fotografien 1984-2009« gestattet eher private Blicke in die Berliner Boheme – anders als das bekannte Werk der Fotografin, das vor allem den schillernden Nachtgestalten der sich mit sexuellen, pharmazeutischen und ästhetischen Experimenten befreien wollenden Underground-Szene der beiden Metropolen gewidmet ist. Blixa Bargeld sieht man in offensichtlich melancholischer Stimmung brav ein Glas Wein halten. Joachim Sartorius, der Goldin 1991 für das Künstlerprogramm des DAAD nach Berlin gelotst hat, ist nachdenklich mit Zigarette zu sehen. Wilde New Yorker Freunde wie Drag Queen Joey sind ebenfalls in banal-privaten Momenten – im Hotelzimmer, vor dem Spiegel – festgehalten.

In erster Linie liefert die Ausstellung daher ein Backstage-Panorama vergangener Zeiten. Das ist faszinierend für die, die damals zum Berliner Umfeld der Fotografin gehörten. »Weißt du noch, hier...« und »Sieh mal, der da...« wispert es, wenn ältere Semester durch die drei in grün, blau und anthrazit getönten Ausstellungsräume wandeln. Auch für Nicht-Insider bietet die Schau allerdings einige Reize. Hinreißend ist eine Serie von Fotografien, die Frauen beim Blick in den Spiegel zeigen. Von Bild zu Bild nehmen die Schminkutensilien und die Schichten der Cremes auf der Haut zu, bis im vorletzten Bild Siobhan akkurat konturiert in den Spiegel schaut, im letzten Foto aber in die Badewanne abtaucht. Perfektion löst sich in angewärmtem Geplätscher auf.

Interessant sind die Porträtserien, die ein Nichtaltern (etwa beim Maler Piotr Nathan) oder sogar ein Jüngerwerden (beim Schauspieler Clemens Schick) dokumentieren. Goldins extreme Nähe zu ihren Modellen, die ihr gelegentlich den Ruf von Obszönität eingetragen hat, wird ausgerechnet bei einigen Kinderbildern am deutlichsten. Denn die sind, ganz anders als die meisten erwachsenen Protagonisten dieser Bildauswahl, versunken ins Spiel und ohne Blick für die Fotografin. Sie markieren zugleich einen Verlust von Unschuld. Ein Bauchtanz zweier Mädchen, bei denen das eine am Boden liegend eine große Seifenblase zwischen den gespreizten Beinen des anderen platziert, fiele gegenwärtig unter latenten Missbrauchsverdacht.

Einen ganz anderen Akzent setzt ein aus neun Fotos bestehendes Tableau über das Sterben des an AIDS erkrankten früheren Leiters des Kinos Arsenal, Alf Boldt. Die meisten ihrer Freunde seien an AIDS erkrankt und litten unter den teilweise schrecklichen Nebenwirkungen der Medikamente, erzählte Goldin. Dramatische Lebensverhältnisse, auf die heutzutage nur noch anlässlich von AIDS-Galas kurzzeitig das Licht des öffentlichen Interesses fällt, sind hier in den Mittelpunkt gerückt.

Einen schönen Effekt liefern die kolorierten Wände. Sie lassen die Farbprints so stark hervortreten, dass sie wie auf Lichtkästen aufgezogen erscheinen. Sie greifen damit eine Urform des fotografischen Oeuvres Goldins auf: Um Geld zu verdienen, arbeitete sie früher mit Diashows in Klubs. Der zweite, vom DAAD ermöglichte Berlinaufenthalt im Jahre 1991 eröffnete ihr die Möglichkeit, die Museen zu erobern und ihren Fuß dauerhaft in die Kunstwelt zu setzen.

»In Berlin habe ich die glücklichste Zeit meines Lebens gehabt«, meinte Goldin. Die eher gemächliche Bildsprache der Berliner Fotografien lässt vermuten, dass Glück und Ruhe sich gegenseitig bedingende Komponenten sein können. Vor dem Hintergrund von Goldins bekannterem Werk und ihrem Leben, das die bourgeoise Presse gern mit Attributen des Exzesses auskleidete, ist dieser Aspekt bemerkenswert.

Auf der Pressekonferenz wehrte sich Goldin gegen die Vereinnahmung als schrille Szenefotografin und hob den politischen Anteil ihrer Arbeit hervor: »Meine Bilder haben viele Menschen inspiriert, nach New York zu kommen und ein anderes Leben zu wagen.«

Bis 28.3., Berlinische Galerie. Alte Jakobstr. 124-128, Mi.-Mo. 10-18 Uhr

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