»Ich will doch nur arbeiten«

Der Wiedereinstieg ins Berufsleben ist für alleinerziehende Mütter voller Tücken

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 5 Min.
Nach zweijähriger Auszeit will die junge Mutter Sandra K.* endlich wieder arbeiten. Ihr Arbeitgeber besteht aber darauf, dass sie Wochenenddienste übernimmt. Doch wohin mit dem Kind? Sandra hat niemanden, der auf ihren Sohn aufpassen kann. Der Fall zeigt exemplarisch, mit welchen Problemen alleinerziehende Mütter bei der Arbeitssuche zu kämpfen haben.

Sandra liebt ihren Beruf. Die gelernte Köchin arbeitete mehrere Jahre in einem Seniorenheim in Berlin-Köpenick. Die Arbeit dort machte ihr Spaß und deshalb nahm sie dafür auch den weiten Anfahrtsweg und die schlechte Bezahlung in Kauf. Tagtäglich war sie anderthalb Stunden unterwegs. Und das für einen Monatslohn von unter 1000 Euro – wohlgemerkt brutto! Davon blieben ihr weniger als 750 Euro zum Leben. »Es war wenig Geld, aber ich kam über die Runden«, erinnert sich die junge Frau. Doch dann wurde Sandra schwanger und entschied sich für das Kind. Der Vater machte sich lange vor der Geburt im August 2008 aus dem Staub. So war die junge Frau mehr als zwei Jahre auf Hartz IV angewiesen.

Beileibe kein Einzelfall. Einer Studie des DGB zufolge, bezieht beinahe jede zweite alleinerziehende Mutter Hartz IV. »In keiner anderen Bevölkerungsgruppe benötigt eine solch hohe Zahl von Menschen staatliche Unterstützung in Form von ALG II«, konstatiert der DGB. Die Situation dürfte sich im kommenden Jahr noch verschärfen. Denn die Bundesregierung hat im Zuge ihres Sparpakets auch das Elterngeld für Mütter im Hartz-IV-Bezug gestrichen. Das bedeutet 300 Euro weniger im Monat für die betroffenen Frauen. Von denen viele gern arbeiten würden, wenn man sie nur ließe.

Sandra wollte unbedingt wieder arbeiten. Doch allein die Suche nach einem Kindergartenplatz gestaltete sich schwierig. »In Berlin ist es schwer, etwas für unter Dreijährige zu finden«, erläutert Sandra, die in einem DDR-Neubauviertel im Ostteil der Stadt wohnt. Dabei gibt es in der Hauptstadt noch vergleichsweise viele Kindergärten und -krippen. So wurde sie schließlich auch fündig. Ihr Sohn besucht nun einen privaten Kindergarten, für den sie jeden Monat 120 Euro bezahlen muss. Da die Betreuung ihres Sohnes unter der Woche gesichert war, zeigte sich ihr ehemaliger Arbeitgeber bereit, Sandra wieder anzustellen. Die Bezahlung war weiterhin mies, so dass sie »mit Hartz aufstocken« muss, wie Sandra sagt. Auch dies kein Einzelfall. Laut DGB verdienen Alleinerziehende deutlich weniger Geld. Da sie oft in unsichere Mini- und Teilzeitjobs abgedrängt werden, liegt das Nettoeinkommen bei jeder und jedem zweiten Alleinerziehenden unter 1300 Euro. Sandra liegt weit darunter.

Keine Betreuung am Wochenende

Trotz der schlechten Bezahlung war Sandra froh, endlich wieder Arbeit zu haben. Doch ihr Glück war nicht von langer Dauer. Denn ab Ende Oktober sollte sie auch wieder am Wochenende arbeiten. Aber die junge Berlinerin hatte niemanden, der ihr zweijähriges Kind betreuen konnte. Der Kindsvater weigerte sich. Ihre Eltern konnten auch nicht einspringen. Das Jugendamt zeigte sich hilflos.

In ihrer Not wandte sich die junge Frau an die Anwältin Jana Kölling. Die Juristin kontaktierte daraufhin mehrmals den Arbeitgeber – ohne Erfolg. »Die hatten offenbar kein Interesse an einer einvernehmlichen Lösung«, so Kölling. Einziges Angebot: Sandra könne ihr Kind ja zur Arbeit mitbringen. Wer sich während des achtstündigen Arbeitstages um das Kind kümmern sollte, wusste die Geschäftsführung auch nicht. Und so beantragte die Anwältin Rechtsschutz beim Arbeitsgericht. Der dortige Richter fand das Angebot des Arbeitgebers aber »sehr freundlich«. Die Bewohner des Heimes könnten das Kind beaufsichtigen, so der gut gemeinte Rat des Richters. Was der Jurist dabei nicht bedachte: Viele der Heiminsassen sind dement.

Es half alles nichts: Um eine fristlose Kündigung zu vermeiden, erschien Sandra am Sonnabendmorgen im Heim – mit Kind. Der Küchenchef verweigerte Sandras Sprössling den Zutritt. Zu recht, schließlich haben Kleinkinder in einer Großküche nichts zu suchen. »Er sagte, mein Sohn soll in der Cafeteria bleiben«, erzählt Sandra. Doch auch dort wäre der Kleine ohne Aufsicht geblieben. Sandra telefonierte mit ihrer Anwältin. Diese meldete sich beim Kindernotdienst, doch der konnte auch nicht weiterhelfen.

Sandra blieb noch einige Zeit in der Cafeteria sitzen und ging dann. Zu allem Überfluss zerrte sie sich an diesem Tag auch noch eine Niere und erschien deshalb Sonntag nicht auf Arbeit.

Am darauf folgenden Tag flatterten zwei Abmahnungen ins Haus. Sie sei unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben, hieß es zur Begründung. Den Anruf Sandras, in dem sie über ihre Verletzung informierte, will niemand erhalten haben. Jetzt wurde es ernst: Jede weitere Abmahnung hätte die fristlose Entlassung zur Folge gehabt.

Gesetzlicher Schutz ist unzureichend

Wieder wandte sich Sandras Anwältin an das Arbeitsgericht. Doch die Rechtslage ist leider nicht eindeutig: Die Richter haben nur zu prüfen, ob es gerecht ist, solche Anweisungen zu erteilen. Dabei muss der Arbeitgeber lediglich das sogenannte billige Ermessen wahren. »Ein Gummibegriff«, kritisiert Jana Kölling. Demnach richtet sich die Arbeitszeit nach den Vereinbarungen zwischen einer alleinerziehenden Mutter und ihrem Arbeitgeber. »Die gesetzliche Schutz für arbeitende Mütter reicht bei weitem nicht aus«. Es bedürfe dazu klarer Schutzregeln für familiengerechte Arbeitszeiten, fordert die Anwältin. »Es sollte in der unserem Land anerkannt und wertgeschätzt werden, dass Kinder geboren und betreut werden – und zwar in allen gesellschaftlichen Bereichen«, betont Kölling.

Alleinerziehende haben es immer schwerer

Beim zweiten Gerichtstermin Anfang November hatte der Richter endlich ein Einsehen. Wohl auch, weil sich die Gleichstellungsbeauftragte des Bezirksamtes Berlin-Köpenick, Christiane Hartmann-Kraatz, für den Fall interessierte und im Gerichtssaal saß. Die junge Mutter muss vorerst nicht am Wochenende arbeiten. Eine fristlose Kündigung ist damit erst einmal vom Tisch.

Am gestrigen Dienstag trafen sich beide Parteien zum Hauptsacheverfahren vor dem Berliner Arbeitsgericht. Mit einem Urteil ist nicht vor dem kommenden Jahr zu rechnen. »Es besteht aber die Möglichkeit, dass sich Sandra und ihr Arbeitgeber doch noch einigen«, hofft Jana Kölling.

Sorge bereitet ihr der generelle Trend in der Arbeitswelt. Im Laufe ihrer 15-jährigen Praxis als Arbeits- und Sozialrechtlerin musste die Juristin mit ansehen, wie »die Situation alleinerziehender Frauen von Jahr zu Jahr schwieriger geworden ist«. Auch weil die prekären Arbeitsverhältnisse stetig zugenommen haben. Vollwertige Jobs für Mütter sind immer noch Mangelware. Kinder gelten als Einstellungshindernis. »Viele alleinerziehende Frauen haben Angst, im Bewerbungsgespräch auf ihr Kind hinzuweisen«, stellt Kölling immer wieder fest. Die Anwältin weiß, woran das liegt: Der deutschen Leistungsgesellschaft mangelt es an Bereitschaft, »Rücksicht auf die familiäre Situation von arbeitenden Frauen zu nehmen«. Ihre Mandantin versteht indes die Welt nicht mehr: »Ich will doch nur arbeiten«, klagt Sandra. Und es klingt schon fast, als habe sie resigniert.

*Name von der Redaktion geändert

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal