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Nur Druck von unten erzwingt Veränderungen

ND-Interview mit José Guilherme Gusmão, Abgeordneter des portugiesischen Linksblocks

  • Lesedauer: 4 Min.
José Guilherme Gusmão, 34 Jahre alt, ist wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der Fraktion des Linksblocks (Bloco de Esquerda) im portugiesischen Parlament. Der studierte Ökonom wurde in seinem Wahlkreis Santarém direkt gewählt. Seine Genossen nennen ihn den »Herrn des Haushaltsausschusses«. Martin Lejeune befragte ihn in Lissabon.
Plakat des Linksblocks Bloco de Esquerda in Lissabon: »Durch Arbeitslosigkeit verlieren wir alle«.
Plakat des Linksblocks Bloco de Esquerda in Lissabon: »Durch Arbeitslosigkeit verlieren wir alle«.

ND: Portugal ist als Niedriglohnland in der Eurozone berüchtigt. Hat das Einfluss auf die wirtschaftlichen Probleme Portugals?
Gusmão: Ja, zwei Millionen von 10,7 Millionen Portugiesen leben unterhalb der Armutsgrenze. Und bei uns sind die Kriterien für Armut weitaus schärfer als in Deutschland oder Frankreich. Diese zwei Millionen sind wirklich arm und verfügen nur über eine äußerst geringe Kaufkraft. Weitere zwei Millionen leiden unter prekären Arbeitsverhältnissen. Sie verdienen im Durchschnitt 3,40 Euro in der Stunde. Außerdem haben wir eine Arbeitslosenquote von elf Prozent. Einer Wirtschaft mit so wenig Kaufkraft, die zudem kaum mehr selber produziert und exportiert, kann es auf Dauer nicht gut gehen.

Immerhin gibt es in Portugal, anders als in Deutschland, einen Mindestlohn, der 475 Euro pro Monat beträgt.
Aber auch nur auf dem Papier. Seit der grausamen Arbeitsmarktreform der Regierung José Manuel Durão Barrosos im Jahre 2002 können Menschen als Pseudo-Teilzeitkräfte oder auf Pseudo-Provisionsbasis beschäftigt werden. In Wirklichkeit bekommen sie den Lohn, den ihr Boss ihnen von Tag zu Tag zugestehen will. Genau diese Arrangements machen es möglich, den Mindestlohn ganz legal zu umgehen. Und selbst vom Mindestlohn kann man hier mehr schlecht als recht leben. Um den Niedriglöhnen den Kampf anzusagen, müsste die Regierung die juristischen Schlupflöcher zur Unterwanderung des Mindestlohnes stopfen und ihn natürlich auch um mehr als 100 Euro erhöhen.

Einige portugiesische Ökonomen diskutieren gerade darüber, ob es für Portugal sinnvoll wäre, die Eurozone zu verlassen. Sogar Außenminister Luis Amado meint, Portugal könnte schon bald dazu gezwungen sein. Glauben Sie, dass einige Länder sich tatsächlich irgendwann veranlasst sehen könnten, die Eurozone zu verlassen?
Ja, denn ich glaube, dass Europas Führer nicht gewillt sind, politische Veränderungen vorzunehmen, die für die Stabilisierung der Eurozone unerlässlich wären. Wenn die europäische Lösung darin besteht, immer nur härtere Sparpakete zu Lasten der Bevölkerung zu schnüren, sehe ich keine Zukunft für die Eurozone. Früher oder später werden immer mehr Länder nicht mehr in der Lage sein, ihre finanzielle Versorgung sicherzustellen. Die Sparpolitik wird zu existenziellen Engpässen für die Bevölkerung führen; spätestens dann wird es unumgänglich sein, die Eurozone zu verlassen.

Könnte das auch auf Portugal zutreffen?
Wenn die Regierung Sócrates diesen brutalen Sparkurs weiterführt, von der EU-Kommission ständig genötigt wird, die Bevölkerung zur Ader zu lassen, Banken und Spekulanten auch in Zukunft nicht besteuert werden , dann sehe ich dieses Szenario – den Ausstieg aus dem Euro – für Portugal als durchaus realistisch an.

Ihre Partei sagt, dass Sparpakete das Problem der Ver- oder Überschuldung einzelner Länder nicht lösen. Worin sehen Sie den Grund für die ungleiche wirtschaftliche Lage der Staaten in der Eurozone?
Das Problem liegt vordergründig hauptsächlich in der ungleichen Handelsbilanz der Euroländer, aber auch in der derzeitigen Auf- und Verteilung des EU-Budgets und in dem grundlegend ungerechten Steuersystem in fast allen Staaten: Arbeitnehmer werden stärker belastet als der Real- und Finanzwirtschaftssektor. Auch die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) ist Teil des Problems: Selbst durch eine Senkung des Leitzinses auf ein Prozent kann die Wirtschaft nicht mehr ausreichend mit Kapital versorgt werden. Daher wären unorthodoxe Maßnahmen wie der Aufkauf portugiesischer Staatsanleihen durch die EZB zu diskutieren. Ein funktionierendes Wirtschaftssystem sollte durch eine Serie vorübergehender Maßnahmen die wirtschaftliche Entwicklung fördern und ein Gleichgewicht zwischen den Akteuren schaffen, statt die wirtschaftlichen Unterschiede zu zementieren, wie sie heute innerhalb der EU bestehen – gerade auch zwischen Portugal und Deutschland.

Und wie können die südlichen Länder der EU ihre wirtschaftlichen Probleme lösen?
Wir können uns nicht aus eigener Kraft aus diesem Tief befreien. Wir kommen nur heraus, wenn sich in der Eurozone etwas signifikant verändert. Die Menschen hier interessieren sich wegen der strukturellen Krise, die von der EU-Währungs- und Wirtschaftspolitik verursacht wurde, zwar wieder mehr für EU-Themen, aber Problembewusstsein allein reicht natürlich nicht aus, um Veränderungen herbeizuführen. Die müssen durch Taten, durch massiven Druck von unten erzwungen werden. Ein Mittel ist der Generalstreik. Wir wünschten uns natürlich auch Solidarität aus anderen Ländern. Schließlich wird Portugal gerade durch den deutschen Exportwahnsinn arg gebeutelt.

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