Vorurteile bekämpfen

Brüsseler Spitzen

  • Cornelia Ernst
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Autorin ist Europaabgeordnete der LINKEN. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehört die Migrations- und Flüchtlingspolitik.
Die Autorin ist Europaabgeordnete der LINKEN. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehört die Migrations- und Flüchtlingspolitik.

Im Zuge einer »Offensive zur inneren Sicherheit« hat die französische Regierung von März bis August die Abschiebung, oder wie oft behauptet, die »freiwillige Rückkehr« tausender Roma, alle EU-Bürger, verfügt. Hauptsächlich wird nach Bulgarien und Rumänien abgeschoben. Allein im August räumte die französische Polizei mehr als 40 »nicht genehmigte« Roma-Siedlungen. Menschenrechtsorganisationen wie das European Roma Rights Centre und Amnesty International, aber auch das EU-Parlament protestierten dagegen und wiesen darauf hin, dass Frankreich vielmehr in der Pflicht ist, ausreichend Halteplätze für die fahrenden Roma zur Verfügung zu stellen und ihnen angemessenen Wohnraum zu garantieren.

Die französische Regierung begleitete ihr Vorgehen mit rassistischer und verleumderischer Rhetorik. Roma wurden als Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit kriminalisiert.

Seit den EU-Erweiterungen von 2007 sind Roma aus Rumänien und Bulgarien EU-Bürger und genießen selbstverständlich das Freizügigkeitsrecht. Das stellte auch die EU-Kommission klar und setzte mit Hilfe des Europäischen Parlamentes durch, dass Frankreich gezwungen ist, seine Praxis zu ändern. Auch in vielen anderen Ländern Europas werden Roma wie Menschen zweiter Klasse behandelt, wie Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus acht Ländern auf einer Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Bukarest in dieser Woche betonten. Zum Beispiel versuchte ein Bürgermeister in Italien sogar zu erwirken, dass in seinem Ort lebenden Roma die italienische Staatsbürgerschaft aberkannt wird.

In Gesprächen mit Roma, die jüngst aus Frankreich abgeschoben wurden, offenbarte sich deren Verzweiflung: »Wir sind keine Hunde!«, brachte eine Romni ihren Unmut zum Ausdruck. 80 Prozent der Roma leben in Rumänien in bitterster Armut. Über die Hälfte der Roma-Haushalte besitzt weder Waschmaschine noch Kühlschrank, keine Wohnzimmermöbel, kein Radio. Fast 40 Prozent der Haushalte, in denen Roma leben, haben nicht für jedes Familienmitglied ein eigenes Bett, jeder fünfte Haushalt besitzt keine Heizung. Von Seiten der rumänischen Behörden können die Abgeschobenen kaum Unterstützung erwarten. Sie bekommen Katen an Stadträndern zugewiesen, ohne Wasser und Strom. Obwohl die Europäische Sozialcharta das Recht auf Zugang zu angemessenem Wohnraum festschreibt, nimmt der rumänische Gesetzgeber keine Notiz von der schwierigen Situation der Roma: Viele besitzen kein Land, um darauf zu bauen, oder sie sind zu arm, um eine Baugenehmigung zu bezahlen. So sind Roma oft von Zwangsräumungen und Umsiedlungen bedroht.

2001 wurde die nationale Roma-Agentur auf Betreiben der EU eingerichtet, doch sie besitzt keine Kompetenz, um die örtlichen Behörden zur Einhaltung der Gesetze zu zwingen. Im Februar 2010 äußerte der rumänische Außenminister Teodor Baconschi, dass einige Gruppen im Land »physiologisch« mit Kriminalität und Delinquenz verbunden seien, »vor allem Rumänen, die zur ethnischen Minderheit der Roma gehören«.

Um die europäische Antidiskriminierungsrichtlinie in die Tat umzusetzen und die Lage der Roma wirklich zu verbessern, brauchen wir nicht nur eine Europäische Rahmenstrategie für Roma, sondern auch einen Aktionsplan gegen Roma-Feindlichkeit, damit die tief sitzenden Vorurteile gegenüber der größten ethnischen Minderheit in der EU endlich wirksam bekämpft werden können. Es wird Zeit, dass EU-Kommission und -Mitglieder verbindlich Verantwortung übernehmen.

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