Teuflischer Kunstbetrieb

»The Rake's Progress« an der Staatsoper im Schillertheater

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Der groß und spektakulär gedachte Staatsopern-Auftakt fürs reaktivierte Berliner Schillertheater ging ja nicht nur wegen Christoph Schlingensiefs Tod ziemlich daneben. Und weil der mit der Mailänder Scala koproduzierte Nibelungen-Ring auch mehr in die Kategorie großer Opernzirkus gehört, umwehte die jüngste Premiere immer noch ein Hauch von Anfang. Hinzu kommt, dass Jürgen Flimm den in seinen Jahren als Intendant der Salzburger Festspiele so erfolgreichen Dirigenten Ingo Metzmacher mit dem polnischen Regisseur Krzysztof Warlikowksi für die Produktion von Igor Strawinskys »The Rake's Progress« zusammengespannt hat.

Der Titel dieser mit musikalischen Erinnerungen und souveränen Rückbezügen aufgeladenen, 1951 uraufgeführten Faust-Mephisto-Opernvariante klingt in der üblichen Übersetzung mit »Karriere eines Wüstlings« auch nicht viel griffiger als im englischen Original. Strawinskys Librettisten W. H. Auden und Chester Kallman haben sich die Geschichte des Tom Rakewell etwas absonderlich belehrend und stilisiert zurechtgedichtet. Der junge Mann kommt durch eine Erbschaft (und damit endgültig erloschenem eigenen Ehrgeiz, für seinen Lebensunterhalt selbst aufzukommen) vom rechten Lebensweg ab. Der hätte ihn wohl an der Seite seiner Anne (mit sprechendem Nachnamen Truelove, also wahre Liebe), mit einer vom Schwiegervater besorgten Stellung, Kinderschar und Eigenheim sicher in die Rente geführt. Was gänzlich opernuntauglich wäre.

Da macht ein diabolischer Nachlassverwalter wie Nick Shadow entschieden mehr her. Mit dem lernt man Bordelle kennen und das große Leben, der bietet den Kick einer Hochzeit mit der Jahrmarktsattraktion, der bärtigen Türken- Baba, der gaukelt die große Erfindung der Maschine vor, die aus Steinen Brot machen kann. Dieser Schatten-Mann wird zum Lotsen in Pleite und Wahnsinn. Nach ihrer Reise von der kleinen Bürger- in die große Halb-Welt landen die beiden schließlich beim Kartenspiel um Toms Seele. Weil der sich aber noch an die Macht der Liebe erinnert, verliert der Teufel diesen Pakt und fährt selbst zur Hölle. Tom aber verliert erst seinen Verstand, dann sein Leben. Und damit es jeder versteht, gibt es zum Finale noch einmal die Moral von der Geschicht, gerade so, als wär's der »Don Gionvanni«.

Bei Warlikowski, der in seinen Opern-Inszenierungen gerne mit dem Selbstbild eines aufmüpfigen Schwulen spielt, gibt es auch diesmal allerlei Ingredienzien aus diesem Topf. Bei ihm wird das Lasterleben in London zum Künstlerleben in einem New York, in dem Andy Warhol den Ton angibt. Bei ihm hat folgerichtig Nick Shadow (polternd und immer auf großes Stimmformat aus: Gidon Saks) nicht nur den sprichwörtlichen Hut, sondern eine weißblonde Warhol-Perücke auf. Er lässt bei Sex und Drugs die Puppen tanzen, macht das schmucke Landei Tom zu seinem Liebhaber und kriecht mit ihm gemeinsam zu der als Siebziger-Jahre-Vollweib auftoupierten Mother Goose (Birgit Remmert) in den Liebes-Wohnwagen, den Ausstatterin Malgorzata Szczesniak in ihre offene Bühnen-Factory schieben lässt. Dort hinein spioniert eine Handkamera, um das ganze Drunter-und-Drüber und Jeder-mit-Jedem als Video-Kunst zu vermarkten.

Warlikowski betreibt da einigen Statistenaufwand mit eingeöltem Solo-Tänzer, einer in Gestalt des schlanken Counters Nicolas Ziélinski ungewöhnlich attraktiven (und zickigen) Türken-Baba und einer ganzen Truppe von Ikonen der amerikanischen Pop- und Filmgeschichte. Er zeigt die Kunstszene, spielt mit ihren Ritualen, denunziert damit zugleich das eigene Metier. Weil das alles aber nur von seinem Publikum leben kann, hat er auf einer fahrbaren Galerie im Bühnenhintergrund all jene Kleinbürger als Zuschauer dieser Glamourwelt platziert, denen die Nachahmung lasziver Gesten schon als Illusion von Freiheit genügt.

Das macht Sinn, entschleunigt sich aber im zweiten Teil bis an die Ermattungsgrenze. Da, wo es eigentlich besonders turbulent zugeht, tritt Warlikowski szenisch auf die Bremse. Das Aufgebot an Pop-Ikonen bleibt ein illustrierender Nachtrag zu seiner These, dass die überdrehte Kunstwelt à la Warhol nur die Begleitmusik auf dem Weg in den Abgrund ist. Worüber sich ja trefflich streiten ließe. Hat doch jede große und bleibende Kunst die Tendenz zur Anmaßung, auch beim Einverleiben menschlicher Substanz. Szenisch nimmt er großen Anlauf für einen Sprung in die Welt der Kunstproduktion und -vermarktung, landet dann aber doch nur ziemlich weich bei denen, die immer schon wussten, dass die Sünde in der Großstadt lauert und Künstler windige Typen sind.

Musikalisch erzählt Ingo Metzmacher eine melancholische Geschichte, ungewöhnlich zart und eher mit einem sehnsüchtigen Blick auf die Quellen, aus denen Strawinsky seine Musik schöpfte. Bei ihm klingt alles sehr nach einem Mozart der feingewebten, schwebenden Töne und ist immer ein wenig traurig und melancholisch. Das ist sicher nicht das, was man von Strawinsky an pointierter Turbulenz erwartet, passt aber in seiner unaufgeregt nachsinnenden Art durchaus zur Szene.

Der Beifall für das Ensemble, mit einem überzeugenden Florian Hoffmann als Tom und der jugendlich sympathischen Anna Prohaska als Anne an der Spitze, schloss auch das Regieteam ein.

Nächste Vorstellung: 15.12.

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