»Wanderer zwischen den Welten«

Günter Wallraff über die Freilassung des deutsch-türkischen Autors Dogan Akhanli

  • Lesedauer: 5 Min.
Nach rund viermonatiger Untersuchungshaft in der Türkei wurde der türkischstämmige deutsche Schriftsteller Dogan Akhanli letzte Woche vom Gericht in Istanbul freigelassen. Der Journalist und Schriftsteller Günter Wallraff nahm mit einer Delegation von Unterstützern am Prozessauftakt teil. Mit dem 68-Jährigen aus Köln, der vor allem durch investigativen Journalismus bekannt wurde, sprach Antje Stiebitz.

ND: Wie haben Sie die Freilassung von Dogan Akhanli erlebt?
Wallraff: Sie war eine freudige Überraschung. Wir haben es geschafft, eine große Öffentlichkeit herzustellen. Anfangs gab es nur kleine Meldungen über den Fall und in Deutschland interessierte sich kaum jemand dafür. Auch Politiker haben sich zunächst nicht für ihn eingesetzt, vielleicht weil er »nur« ein Schriftsteller war, dazu noch »türkischer Herkunft«. Wäre er Konzernbeauftragter gewesen, hätte es von Anfang an ein ganz anderes öffentliches Engagement gegeben.

Aber die Kölner Unterstützergruppe und all die anderen Initiativen haben erreicht, dass sich auch die großen Medien des Falles annahmen und hinreichend informierten. Ich hatte auch eine Aktion angekündigt, und durch die Wirkung meines Buches »Ganz unten«, für das ich zwei Jahre in der Rolle eines türkischen Leiharbeiters in Deutschland gelebt habe, genieße ich in der Türkei ein gewisses Ansehen. Dies und andere Aktivitäten haben wohl dazu geführt, dass das Gericht so entschied.

Welchen Eindruck hatten Sie von dem Gericht?
Ich hatte den Eindruck, dass es Weisung hatte, das ganze irgendwie zu erledigen. Und so haben die Richter ihn dann letztlich freigelassen. Aber nur zähneknirschend und widerwillig. Sie hatten nicht einmal die Größe, ihn vor Gericht freizusprechen. Als man ihn ins zwei Stunden entfernte Gefängnis zurückbrachte, hat man ihm beiläufig gesagt, er käme jetzt frei.

Das Gericht war in einer merkwürdigen Verfassung. Es schien, als sei es sich durch die große Öffentlichkeit seines rechtswidrigen Verhaltens sehr wohl bewusst: Belastungszeugen, die unter Folter aussagten, die dazu gezwungen wurden gegen Akhanli auszusagen. Eine Justiz, die sich an einem Gegner des Militärregimes rächen wollte. Eigentlich saßen die Ankläger auf der Anklagebank. Sie redeten so leise, dass man sie kaum verstand, als hätten sie etwas zu verbergen. Was sie ja auch haben.

Der Prozess geht Anfang März 2011 weiter.
Ja, zum Schein wird der Prozess noch fortgesetzt. Meiner Ansicht nach wird er nur fortgeführt, damit das Gericht nicht zugeben muss, dass es hier den Falschen vier Monate lang seiner Freiheit beraubt hat. So hat es die Angelegenheit erst mal auf die lange Bank geschoben. Und im März nächsten Jahres, so hofft es wohl, wird sich keiner mehr dafür interessieren.

Nach dem Prozess haben Sie gesagt, er könnte ein Leuchtzeichen in Bezug auf die Demokratisierung der Türkei sein. Laut Wikileaks hat Außenminister Guido Westerwelle 2009 gesagt, dass die EU ein so großes Land wie die Türkei nicht integrieren könne. Wie sehen Sie das?
Das ist ganz sicher noch ein sehr langer Weg, da sollte nichts überstürzt werden. In der Türkei gibt es noch viele Menschenrechtsdefizite und die Islamisierung, die im Gange ist, ist bedrohlich. Da sind die Wikileaks-Enthüllungen recht realistisch. Innerhalb kürzester Zeit wurden in der Türkei laizistische Lehrer gegen streng gläubige und zum großen Teil auch noch Anhänger der Regierungspartei AKP ausgewechselt. Und die Trennung von Staat und Religion, die ja seit der Gründung der modernen Türkei durch Kemal Atatürk in der Verfassung festgeschrieben ist, wird immer mehr ausgehöhlt. Trotzdem halte ich es für wichtig, der Türkei die EU-Mitgliedschaft in Aussicht zu stellen. Verweigert man sie der Türkei, treibt man das Land erst recht in Richtung islamischer Länder, wie Saudi-Arabien oder gar Iran. Der türkische Ministerpräsident Recep Erdogan hat bekanntlich einen Beraterstab, dem man diese Nähe nachsagt. Die EU-Mitgliedschaft muss dennoch langfristig ein Thema bleiben, alles andere wäre für Europa schädlich.

Hat sich die Bundesregierung für den deutschen Staatsbürger Dogan Akhanli eingesetzt?
Zuerst ist da recht wenig passiert. Aber wir Unterstützer haben die Beweismittel für Akhanlis Unschuld auch an Regierungsvertreter geschickt. Und so wurde beim Justiz- und Außenministerium einiges angestoßen. Auch Bundespräsident Christian Wulff hat den Fall bei seiner letzten Türkei-Reise zur Sprache gebracht. Ich habe inzwischen den Eindruck, dass auch auf diplomatischer Ebene einiges versucht wurde.

Wie geht es jetzt für Dogan Akhanli weiter?
Das tragische ist ja, dass Dogan in die Türkei gereist ist, um seinen todkranken Vater noch mal zu sehen. Und während Dogan im Gefängnis saß, starb sein Vater. Zunächst einmal ist er jetzt in sein Heimatdorf an der georgischen Grenze gefahren. Er wird am Grab seines Vaters Abschied nehmen und Familienmitglieder und Freunde treffen.

Immerhin eins wurde durch den Prozess erreicht: Dogan Akhanli ist neu entdeckt worden. Er war in der Türkei kein Unbekannter, aber jetzt werden seine Bücher, so ist zu hoffen, noch mehr gelesen. Sein Buch über den Völkermord an den Armeniern »Die Richter des jüngsten Gerichts« wurde soeben auf Deutsch neu aufgelegt.

Akhanli ist ein stiller Mensch, der sich immer gegen Gewalt ausgesprochen hat, und er verdient viel mehr Aufmerksamkeit. Er ist ein Wanderer zwischen den Welten, ist in zwei Kulturen verwurzelt und kann sich die positiven Seiten der jeweiligen Kultur zu eigen machen und Rückständiges hinter sich lassen. Solche Menschen werden gebraucht.

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